Kleinere Denker gibt es, die wie Katalysatoren wirken: Wo die großen Gelehrten ein Werk besitzen, das eine intensive Beschäftigung begründet, fungieren die Kleineren als Vermittler. Deshalb lässt sich an ihnen leichter ermessen, wie sich einzelne Gedanken zu Theorien fügen und Theorien zu intellektuellen Bewegungen werden. Eine solche Gestalt war Broder Christiansen (1869 bis 1958), dem Thomas Steinfeld, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, ein intellektuelles Porträt widmet. Christiansen mag ein Sonderling gewesen sein und wenig originell. Doch sein Einfluss war gewaltig. Er war einer der ersten Lehrer der Selbstoptimierung, aktuelle Ideologien des "self-growth" lassen sich auf ihn zurückführen. Er gehörte zum intellektuellen Umgang sowohl Hermann Hesses wie bekannter nationalsozialistischer Autoren, inspirierte den Russischen Formalismus und dadurch den Strukturalismus insgesamt, gehörte zu den Vertrauten Rudolf Carnaps und wirkte an der Entstehung des Logischen Empirismus mit.
Im Blick auf solche überraschenden Verbindungen wird in diesem Buch das intellektuelle Profil einer Zeit nachgezeichnet, in der Wissenschaft und Ästhetik einander durchdrangen, bis hin zu den Ursprüngen des Wiener Kreises in Experimenten zur mentalen Hygiene.
Thomas Steinfeld: Ich will, ich kann. Moderne und Selbstoptimierung. Konstanz University Press, Konstanz 2016. 110 Seiten, 17,90 Euro.