Violinkonzert:Frank Peter Zimmermann

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Dmitri Schostakowitschs erstes Violinkonzert ist ein Meisterwerk aus Melancholie und Sarkasmus. Der Geiger Frank Peter Zimmermann spielt es virtuos.

Von Harald Eggebrecht

Längst gehört Dmitri Schostakowitschs erstes Violinkonzert, das er 1948 als verfemter "Modernist" für die Schublade schrieb und das erst 1955 zwei Jahre nach Stalins Tod uraufgeführt wurde, zu den geradezu beliebten Reißern im Musikleben. Es scheint, als fänden besonders junge Geiger direkten Zugang zu dieser doch sehr komplexen Musik, die brütende Melancholie, scharfer Sarkasmus, wildes Aufbegehren und bittere Ironie in ihren vier Sätzen charakterisiert. Das zweite, dreisätzige, Konzert wird dagegen vergleichsweise selten gespielt. Es ist viel ausgesparter, herber, karger, monologischer als das frühere Werk. Schostakowitsch schrieb es 1967 für seinen Freund, den großen David Oistrach, der schon das erste Konzert uraufgeführt hatte. Folglich braucht es einen riesigen Atem, um die melodischen Linien so lang auszuziehen, wie sie gedacht sind. Außerdem ist die Geige fast immer ins orchestrale Gewebe gleichsam eingebunden, auch in der Kadenz des zentralen Adagio-Mittelsatzes. David Oistrach war als Solist in beiden Fällen so überwältigend und überzeugend, dass man sofort einsieht, wie sich die nachfolgenden Geiger an diesem zu Recht einzigartigen Vorbild orientierten und immer noch orientieren. Dennoch gilt natürlich für alle, nicht zu imitieren, ganz davon abgesehen, dass Oistrachs mächtiges Tonvolumen, seine Fähigkeit, ganze Sätze gestalterisch wie in einem einzigen mächtigen Bogen überspannen zu können und seine virtuose Kraft unnachahmlich bleiben.

Frank Peter Zimmermann, zu Recht als "Oistrach unserer Tage" bewundert, stützt sich nun bei seiner Aufnahme mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter Alan Gilbert (BIS) im ersten Konzert nicht auf die Version, wie sie einst David Oistrach eingerichtet hat, sondern auf das Originalmanuskript mit den eigenhändigen Metronomangaben und Phrasierungsbögen des Komponisten. Heraus kommt auf Zimmermanns herrlicher Stradivari "Lady Inchiquin" ein viel rauerer, kantigerer, gewissermaßen zornigerer, in der großen Solokadenz wahnwitzigerer Schostakowitsch als sonst. Das Finale wird hier zum rasenden Hexensabbat. Es verschwindet alles, was als nur perfekt ablaufendes Virtuosenhandwerk diese Musik falsch glätten würde.

Für das zweite Konzert hatte Zimmermann die "Lady Inchiquin" nicht mehr zur Verfügung und musste daher zu einer anderen Stradivari greifen, der "ex Rodewalt" von 1713. Dieses Instrument klingt enger, weniger sonor in der Tiefe und etwas spitzer in der Höhe als die "Lady Inchiquin". Doch passt das gut zur lakonisch vor sich hin grübelnden, manchmal mehr stockend-tastenden als voran kommenden Klanggestalt des zweiten Konzerts. Hier herrscht der Ton des späten Schostakowitsch, der kaum mehr an solistischem Glanz, an extrovertierten Gefühlsausbrüchen oder motorisch-rhythmischen Triebkräften interessiert ist. Kein Wunder, dass es nur ein halbschnelles Finale gibt, das sich aber von Kehrausideen oder flotter Violingeläufigkeit fern hält. Gleichwohl erinnert es manchmal spöttisch, ja fast höhnisch an solche Komponiergewohnheiten bei Solokonzerten. Frank Peter Zimmermann schärft diese Spätstilseiten an und versucht nie, diese Musik einsamer Bitterkeit an den offensiven Charakter des ersten Konzerts anzugleichen, wie es viele sonst tun. Bei ihm und dem aufmerksam korrespondierenden Orchester werden das Moderato, das weit ausholende Adagio und das störrische Finale zur Expedition in eine musikalische Landschaft, in der Schönheit, Kantabilität, Vitalität nurmehr als Schatten der Erinnerung erscheinen.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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