Verleger:Als der Zauberlehrling durchfiel

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Michael Krüger leitete bis 2013 den Hanser Verlag. Saskia Heintz hat den Kinderbuchverlag 2015 übernommen. (Foto: picture alliance/Arno Burgi; Carl Hanser Verlag)

Saskia Heintz und Michael Krüger erklären, wie man Bücher für Kinder macht.

Interview von Roswitha Budeus-Budde

Das war durchaus ein Wagnis, als der renommierte und erfolgreiche Hanser Verlag 1993 beschloss, sich auch im Kinderbuchbereich zu versuchen. Schon länger hatten bekannte Bilderbuchillustratoren die Cover des literarischen Programms für Erwachsene gestaltet, und namhafte Autoren wie Hans Magnus Enzensberger oder Elke Heidenreich und David Grossman waren bereit, auch Kinderbücher zu schreiben. Und trotzdem galt es als ungewöhnliche Unternehmung, dass ein belletristischer Verlag Kinderbücher veröffentlichte. Nach 25 erfolgreichen Jahren treffen wir Michael Krüger, den ehemaligen Hanser-Verleger und Gründer der Kinderbuchsparte, und Saskia Heintz, die den Kinderbuchverlag seit 2015 leitet, um über dessen Anfänge und die Zukunft zu sprechen.

SZ: Woher haben Sie den Mut genommen, sich auf den auch damals schon ziemlich vollen Kinderbuchmarkt zu wagen?

Krüger: Am Anfang stand die Begeisterung. Wir wollten ein gutes Kinderprogramm machen. Es ging dabei noch gar nicht unbedingt um Geld. Aber dass der Verlag nicht mildtätig für Kinder arbeiten wollte, war auch klar. Als Friedbert Stohner, der erste Verlagsleiter, mit dem Vorschlag kam, 500 Seiten norwegische Philosophie für Kinder zu verlegen, hatte ich große Zweifel. Es war die Zeit vor Harry Potter, als Kinder- und Jugendbücher nicht mehr als 120 Seiten haben durften. Der Erfolg von Jostein Gaarders "Sophies Welt" wurde dann aber die Initialzündung, die uns die Möglichkeit gab, Rechte für mehr Bücher einzukaufen. Plötzlich hatte man wieder das Gefühl, dass man sich etwas trauen muss.

Frau Heintz, was hat Sie bewogen, das Kinderbuch zu übernehmen?

Heintz: Drei Jahre nach der Gründung kam ich als Presseleiterin und Lektorin ins Team, und arbeitete mit Uwe-Michael Gutzschhahn und den folgenden Verlagsleitern Friedbert Stohner und Ulrich Störiko-Blume zusammen. Ich hatte aber schon 2011 die Akquise und das Lektorat für den Großteil des Verlagsprogramms im Kinder- und Jugendbuch übernommen. 2014 war dann meine Tochter mit neun Jahren aus dem Gröbsten raus, und ich war bereit, die Verlagsleitung tatsächlich zu verantworten.

Wie viel Freiheiten ließen Sie den Verlagsleitern bei der Programmgestaltung, Herr Krüger?

Krüger: Alle denkbaren. Die Leitlinie war, dass sich jeder Verlag im Hause selbst ernähren können sollte. Ich wäre der Letzte, der behauptet, ich wüsste, was Kinder lesen, und habe mich auch nicht wirklich damit beschäftigt. Wenn ich etwas eingebracht habe, dann immer die Sachen, die ich selber gut fand. Ich war oft skeptisch.

Heintz: Natürlich gab es auch manchmal Kämpfe, zum Beispiel um den Jugendromans "Nichts. Was im Leben wichtig ist" von Janne Teller. Es wurde einer unserer großen Erfolge. Da gab es viele Kritiker im Haus. Aber Michael Krüger meinte: Wenn du das so gut findest, dann mach es doch.

Bei Harry Potter waren Sie sich einig.

Heintz: Den damaligen Verlagsleiter konnte, genau wie mich und Michael Krüger, Fantasy nicht begeistern. Wir brachten Harry Potter mit in die Verlagskonferenz, und Krüger meinte: Das ist doch gequälte Kacke. Wir haben dann viel gelernt und Anfang der Zweitausenderjahre auch mit Fantasy angefangen, mit "Lionboy" von Zizou Corder und "Septimus Heap" von Angie Sage. Es ist ein Genre, das Kinder lesen wollen. Wir erreichen mit diesen Büchern eher Jüngere und Jungen. Ich möchte aber auf jeden Fall für jede Altersgruppe etwas anbieten. Es sollen alle etwas bei uns finden, und es soll keine Dopplungen der Reihen und Bücher geben.

Glauben Sie, dass das Erfolgsrezept, mit anspruchsvoller Literatur zu überleben, weiter aufgeht? Können sich große Erfolge wie "Der Zahlenteufel" von Hans Magnus Enzensberger, "Wunder" von Raquel J. Palacio und die Bücher von John Green und Per Olof Enquist überhaupt wiederholen?

Heintz: Ich habe an jeden einzelnen Erfolg dieser 25 Jahre ganz fest geglaubt. Bei den Büchern, die mich wirklich überzeugten, war ich mir immer sicher, dass sie eine Chance haben. Berührende, überraschende, herausragend erzählte Geschichten finden immer ihre Leser. Sogar wenn sie von krebskranken Jugendlichen handeln. Unser jüngster Erfolg mit den "Rebel Girls" ist der beste Beweis dafür. Es ist vielleicht untypisch für unser Programm, aber ich war von Anfang an zuversichtlich, dass an diesem originellen, wichtigen Buch niemand vorbeikommt. Inzwischen haben wir schon 70 000 Exemplare verkauft.

Krüger: Außerdem haben wir schon früh eine Kooperation mit dem Deutschen Taschenbuch Verlag gegründet, Hanser dtv. Das ist ein Fifty-fifty Unternehmen, das uns sehr geholfen hat.

Heintz: Die gesamte Backlist des Verlages erscheint in der Reihe Hanser dtv.

Was hat sich durch die sozialen Medien geändert?

Heintz: Im Verlag haben wir erst ziemlich spät damit angefangen, die sozialen Medien zu nutzen. Ich fand 2016 einfach, wir müssten mit dem Kinder- und Jugendbuch dabei sein. Es ist aber trotzdem nicht so, dass sich durch unseren Instagram-Auftritt gleich eine neue Riesenleserschaft erschlossen hätte. Vor allem binden wir damit unsere Fans, die informiert sein wollen. Wir müssen heute mehr tun für unsere Leser und ihnen da begegnen, wo sie gerne sind. Wir verkaufen auch viele Titel als E-Books, besonders die Bestseller, da liegt der Anteil bei 15 bis 20 Prozent, zum Beispiel bei den Büchern von John Green.

Werden sich das Leben und das Lesen durch die elektronischen Medien noch stärker verändern?

Krüger: Wenn es in dieser Geschwindigkeit weitergeht mit den Veränderungen, dann wird es irgendwann ein Privileg sein, Bücher zu lesen. Was passiert mit dem Subjekt? Ist es nur das Anhängsel eines großen Algorithmus, den es bedienen muss, indem es kauft, was ihm angeboten wird? Oder gibt es eine Gegenbewegung zu dieser algorithmischen Gesellschaft, die glaubt, dass wir unseren Individualismus stärken müssen? Es wird eine Gegenbewegung geben. Die wird vielleicht gesellschaftlich nicht so riesige Ausmaße annehmen, aber qualifiziert sein, ihrerseits Maßstäbe zu setzen.

Würden Sie noch einmal einen Kinderbuchverlag gründen?

Heintz: Die Studie vom Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, die sagt, dass die Leserschaft erstmals von 56 auf 44 Prozent zurückgegangen ist, hat mich skeptisch gemacht. Es ist dringend notwendig, das Buch wieder stärker in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion zu rücken und es gegen die vielen anderen Dinge, die bei Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle spielen, zu verteidigen. Da sind nicht nur Schulen und Eltern gefragt, sondern wir alle, die Bücher lieben.

Krüger: Ich würde es sofort wieder tun und jedem empfehlen, die guten Sachen zu machen. Der übliche Kruscht muss nicht wiederholt werden. Die Hälfte kann eingehen. Ich glaube, dass das besondere Buch viel mehr Chancen hat in Gesellschaften, die so stromlinienförmig sind wie unsere.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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