Verhältnis zwischen USA und Israel:Freundschaft im Kreuzfeuer

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Zwei Bücher heizen die Debatte über das Verhältnis zwischen Israel und den USA an: Eines macht die "Israel Lobby" für den Irak-Krieg verantwortlich, die zeitgleich veröffentlichte Replik wirft den Autoren Antisemitismus vor.

Jörg Häntzschel

Als das politische und intellektuelle Amerika aus den Sommerferien zurückkehrte, die am Montag mit dem Labor Day endeten, lagen in den Uni-Postfächern und FedEx-Boxen zwei Bücher, von denen man in den nächsten Wochen noch einiges hören wird.

Das amerikanisch-israelische Verhältnis wird in "The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy" kritisch unter die Lupe genommen. (Foto: Foto: AP)

"The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy" heißt das eine der beiden. Es ist die aktualisierte und auf knapp 500 Seiten erweiterte Version eines im letzten Jahr auf der Website der Harvard University und später, stark gekürzt, in der London Review of Books erschienenen Essays von John Mearsheimer und Stephen Walt (auf deutsch beim Campus Verlag Frankfurt, 504 Seiten, 24,90 Euro).

Mearsheimer, Politologe an der University of Chicago, und Walt, Professor an der Kennedy School der Universität Harvard, machen ein loses Netzwerk pro-israelischer - aber nicht unbedingt jüdischer - Politiker, Journalisten und Professoren verantwortlich für die überproportionale materielle und politische Unterstützung Israels durch die USA und sehen darin einen der Hauptgründe für die Bedrohung der USA durch den Terrorismus. Auch die Schuld am Irak-Fiasko schreiben sie dieser "Israel Lobby" zu.

Hier und dort gab es Beifall für den Essay, doch die Kritik überwog - und sie war heftig. Walt und Mearsheimer wurden Rassisten geschimpft. Sie plädierten für die Zerstörung Israels hieß es, und die Washington Post titelte: "Ja, es ist antisemitisch."

Andere waren weniger polemisch, zuletzt etwa David Remnick, der Chefredakteur des New Yorker in dessen jüngster Ausgabe. Zwar lobt er den Vorstoß der beiden Autoren, stimmt ihrer Kritik an Israel ebenso zu wie ihrer Version von der Genese des Kriegs, doch er kritisiert ihre Einseitigkeit, ihre Auslassungen und Vereinfachungen. "Hysterie" lautet schließlich sein Urteil. Die ersten Veranstalter haben Lesungen mit den beiden Autoren schon abgesagt. (siehe SZ vom 21.8.2007)

Doch niemand fühlte sich durch Walt und Mearsheimers Thesen mehr herausgefordert als Abraham Foxman, seit 20 Jahren Direktor der Anti Defamation League (ADL), einer jüdischen Organisation, die gegen alle Formen der Diskriminierung, vor allem aber gegen antisemitische Tendenzen einschreitet.

Und so schrieb dieser, während Walt und Mearsheimer noch an der Buchfassung ihres Essays arbeiteten, schon eine Replik, die jetzt fast gleichzeitig erschienen ist: "The Deadliest Lies. The Israel Lobby and the Myth of Jewish Control". Schon Walt und Mearsheimer neigen zu einer gewissen Hitzigkeit im Ton. Foxman aber bezichtigt die Autoren schon in Zeile vier des Antisemitismus und bleibt schrill bis zur letzten Seite. Dass er mit dem früheren Außenminister George Shultz einen "elder statesman" als Vorwortschreiber gewonnen hat, verleiht dem Werk zusätzliche Brisanz.

Antisemitisches Muster

Foxmans Wut findet jede Menge Futter. Doch was ihn vor allem erzürnt haben dürfte, ist die raffinierte rhetorische Strategie der beiden Autoren. Sie gehen vor wie gerissene Ankläger bei Gericht: Erst malen sie die Tat und ihre Folgen aus, dann entlasten sie der Reihe nach sämtliche Verdächtigen, um schließlich den wahren Täter vorzuführen, dessen Schuld nun unabweisbar erscheint.

Israel erhält mit drei Milliarden Dollar pro Jahr weit mehr Unterstützung als jedes andere Land; die USA beliefern Israel regelmäßig mit neuesten Waffensystemen; 34 Mal haben die USA im UN-Sicherheitsrat ein Veto gegen israelkritische Resolutionen eingelegt. Ist Israel so schwach, dass es dieser Unterstützung bedarf? Nein, sagen Walt und Mearsheimer. Es ist das stärkste Land des Nahen Ostens.

Gibt es eine historische begründete moralische Verpflichtung, Israel zu unterstützen? Nicht mehr - es hat sein moralisches Kapital aufgebraucht und ist nun ein Land so gut und schlecht wie viele andere. Verfolgt Amerika mit seiner disproportionalen Israel-Hilfe also seine eigenen Interessen? Keineswegs, so die Autoren.

Wirtschaftlich sind die Ölnationen in Israels Nachbarschaft bedeutender. Politisch aber ist die Treue der USA zu Israel vor allem schädlich. Obwohl Amerika wiederholt eine besonnene Haltung im Nahostkonflikt gezeigt habe, werde es durch seine Unterstützung Israels mitverantwortlich gemacht für dessen Besetzung der Palästinensergebiete.

Erst damit würden die USA die Gefahr durch Terroristen wie die vom 11. September auf sich ziehen. Umgekehrt zeige Israel keinerlei Anzeichen, sich für die üppige Unterstützung durch Loyalität erkenntlich zu zeigen. Israel ist eine "strategische Last" für die USA geworden.

Da es also keine moralischen, wirtschaftlichen oder strategischen Gründe für die Hilfe gibt, muss etwas anderes dahinter stecken. Es ist die Israel-Lobby, oder einfach: "Die Lobby". Es gebe die Pharma-, die Öl- und die Waffenlobby, es gibt die Rentner, die Farmer und die Exilkubaner. Aber niemand, so Walt und Mearsheimer, habe die Moral so gepachtet wie die Israel-Lobby.

Niemand brächte seine Gegner mit einem einzigen Wort - Antisemitismus - so nachhaltig zum Schweigen. Den Höhepunkt ihrer Macht habe die Lobby nach dem 11. September erreicht, als die Neocons, die für Walt und Mearsheimer ein Flügel der Lobby sind, sich in der Bush-Regierung durchsetzten. Erst in Iran einmarschieren, dann im Irak, so wollten sie es seit Jahren; nun kommt es eben andersherum.

Spätestens mit diesem letzten Punkt haben die Autoren einen Nerv getroffen. Es sei das klassische Muster, so Foxman: Die Juden würden in Krisen zum "Sündenbock" gemacht, man unterstelle ihnen, verschwörerische Absichten und "duale Loyalität".

Foxman zögert nicht, Walts und Mearsheimers Thesen in den Kontext einer Geschichte des Antisemitismus zu stellen, die bis zur Dreyfus-Affäre reicht. Ähnliches wie damals den Juden in Frankreich könne auch den amerikanischen Juden jederzeit drohen, insinuiert Foxman, und mit "The Israel Lobby" liege ein weiteres Indiz vor.

Doch je monumentaler die historischen Kulissen sind, die Foxman und andere Kritiker auf die Bühne schieben, desto mehr drängt sich die Frage auf, was dahinter versteckt werden soll. Der Tabubruch ist Walt und Mearsheimer im übrigen nicht versehentlich unterlaufen. Sie haben ihn bewusst gewählt, um eine - in ihren Augen - überfällige Debatte zu provozieren.

Über die Polemik hinaus bleibt Foxman nicht viel mehr, als den Autoren tendenziöse Formulierungen, Übertreibungen oder zweifelhafte Schlüsse nachzuweisen. Gegenüber dem von den zwei akademischen Schwergewichten in jahrelanger Arbeit recherchierten Werk, dessen Fußnoten allein 130 Seiten füllen, muss sein schmaler, oft widersprüchlicher und mit dem Erscheinen des Buchs teils überholter Band abfallen.

Gemeinsam ist beiden Büchern, dass sie die seit einem Jahr geführte Debatte selbst zu ihrem Thema machen. Walt und Mearsheimer antworten nicht nur inhaltlich auf die Kritiker ihres Essays. Aus einigen ihrer Passagen ist auch Verbitterung über die verletzenden und verzerrenden Reaktionen herauszuhören.

Ideologien unterschätzt

Foxman seinerseits stellt ausführlich dar, was er - in bizarrer Anspielung auf Dreyfus - die "Judt-Affäre" nennt: Der an der New York University lehrende britische Historiker Tony Judt sollte in einem gemieteten Saal in der polnischen Botschaft in New York über die Thesen von Walt und Mearsheimer sprechen, nachdem er diese in einem Zeitungsartikel verteidigt hatte.

Eine Stunde vor der Veranstaltung erhielt der Botschafter einen Anruf von der ADL. Er sprach von "zartem Druck", der ausgeübt worden sei - und sagte als Hausherr die Veranstaltung ab. Foxman weist diese Version weit von sich. Keineswegs habe man Druck ausgeübt, man habe sich nur nach dem Programm der Veranstaltung erkundigt.

Warum walzt Foxman diese Episode auf 40 Seiten aus? Weil sie zum Paradebeispiel für die Methoden der "Israel Lobby" geworden war, israelkritische Debatten zu verhindern? Judt selbst widerspricht gegenüber der SZ der Darstellung Foxmans. "Natürlich wurde der Abend auf Betreiben der ADL abgesagt. Nicht im Zuge staatlicher Zensur, es gibt keine Zensur in diesem Land, sondern in einem Akt der Selbstzensur."

Und er bleibt bei seiner Verteidigung für "The Israel Lobby". Nur zwei Schwächen nennt er: "Walt und Mearsheimer sind wohl die führenden Experten in amerikanischer Außenpolitik. Niemand versteht Washington wie sie. Etwas weniger bewandert sind sie, wenn es darum geht, die innere Dynamik der arabischen und israelischen Politik darzustellen."

Das andere Manko liege im "Realismus" der beiden Autoren: "Sie nehmen Ideen nicht sehr ernst. Sie unterschätzen die Macht von Überzeugungen und Ideologien", den missionarischen Eifer also, mit dem manche in den USA Demokratie und Marktwirtschaft in alle Welt tragen wollen. Dennoch: "Es gibt keinen Punkt, wo sie wirklich falsch liegen."

Man wird Walt und Mearsheimer wohl nicht gerecht, wenn man ihre Analyse, wie Remnick, als bloßes "Symptom unserer polarisierten Ära" abtut. Seit fünf Jahren ist der Krieg nun im Gange, in dem Präsident Bush eben wieder "Fortschritte" ausmachte. Er hat nicht nur unendlich viele Leben gekostet, nicht nur Unsummen von Geld verschlungen, er hat als ständig erneuerter Skandal auch seine Kritiker in einen lähmenden Sumpf gezogen.

Walt und Mearsheimer gehören zu den Wenigen, die jenseits des Kriegsalltags aus Lügen, Tod und Inkompetenz nach Gründen suchen, dass ihr Land so vollkommen in die Irre geraten konnte. Und sie sind bereit, eine Debatte zu führen, die viele ihrer Kritiker verhindern wollen.

© SZ vom 5.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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