Vergabe des Literatur-Nobelpreises:Wirken und wirken wollen

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Heute wird der Gewinner des Literatur-Nobelpreises bekannt gegeben: Oft lag die Akademie mit ihren Entscheidungen daneben - das Maß des Irrtums gibt sich erst im Lauf der Jahre zu erkennen.

Thomas Steinfeld

Als der Schriftsteller Per Wästberg, Mitglied der Schwedischen Akademie, vor drei Jahren vor die Mikrofone trat, um zu rechtfertigen, dass der Nobelpreis für Literatur an Elfriede Jelinek gehe, verfiel er auf eine sonderbare Begründung: Sie erhalte den Preis, sagte er, weil sie "die Konsumgesellschaft Österreich" kritisiert habe, eine Gesellschaft, die sich weigere, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Selten in der Geschichte des Nobelpreises für Literatur stieß eine Entscheidung auf so viel Missvergnügen wie diese.

(Foto: N/A)

Das lag am Werk Jelineks. Aber es lag auch an solchen Rechtfertigungen: Denn es hatte bislang nicht zu den Aufgaben der Schwedischen Akademie gehört, Konsumgesellschaften zu maßregeln und befreundete Staaten zu tadeln. Und es war bislang kein literarisches Verdienst gewesen, zu dem Land, in dem man lebt, ein kritisches Verhältnis zu unterhalten.

Per Wästbergs Erklärung mag von einer Überschätzung der politischen Bedeutung und von einer eigenwilligen Interpretation der Aufgabe des Nobelpreises getragen gewesen sein. Aber sein Impuls ist durchaus verständlich: Eine große literarische Auszeichnung, und gar diese, die größte und berühmteste von allen, muss wirken, und sie muss wirken wollen.

Überall würde man zufrieden sein

Dieser Effekt ist nicht zu erreichen, wenn man ausschließlich nach den inneren Kriterien der Literatur prämiert. Es muss etwas anderes hinzukommen, es muss eine Richtung, eine Bewegung, ein Ziel erkennbar sein, und zwar so, dass sich dieser Wille noch literarisch vermitteln lässt. Erst wenn diese Vermittlung nicht mehr existiert, wenn Absicht und Literatur nur noch instrumentell miteinander verbunden sind, wird, wie im Fall von Per Wästberg, der Wille zur Wirkung zum Problem des Preises.

Entscheidungen über größere künstlerische Auszeichnungen gehorchen im wesentlichen zwei Kriterien: Sie können bestätigen oder fördern, sie können eine bereits vorhandene Geltung ratifizieren oder eine Geltung schaffen wollen. Bestätigt in seiner Bedeutung wurde etwa Sully Prudhomme, der erste Nobelpreisträger für Literatur überhaupt, der Autor des Liebesgedichtes "Le vase brisé", im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert vermutlich das bekannteste Gedicht überhaupt. Bestätigt aber wurden auch Claude Simon und V.S. Naipaul, Ernest Hemingway, J. M. Coetzee und letztlich auch Harold Pinter. Keinem der entsprechenden Werke wuchs über den Nobelpreis eine neue Wirkung zu - die Autoren waren durchgesetzt und blieben es.

Und würde sich die Schwedische Akademie in diesem Jahr für Philip Roth oder John Updike entscheiden, würde sich wiederholen, was schon oft geschah: Das Echo wird freundlich sein, überall wird man zufrieden sein, den Erwählten oder die Erwählte zu kennen, und damit hätte es sein Bewenden. Wenn über den Nobelpreis gesagt wird, dass Autoren, die zu oft als Kandidaten genannt werden, ihn nach einigen Jahren nicht mehr bekommen können, dann liegt das vor allem daran, dass sie keine Überraschung mehr versprechen - ein Verhängnis, das Hugo Claus, Jaan Kross und vielleicht sogar John Updike längst ereilt hat.

Zweifel und Glück

Anders ist es, wenn die Akademie sich entschließt, kulturpolitisch zu agieren und eine Bedeutung zu schaffen. Wenn sie es tut, geht sie ein Risiko ein, das um- so größer ist, je kleiner der Ruhm des Kandidaten vor dem Preis war. Mit der Überraschung, die sich dann mit der Bekanntgabe des Preises verbindet, ist die Gefahr verbunden, innerhalb des Kulturbetriebs für nicht mehr seriös gehalten und außerhalb nicht mehr wahrgenommen zu werden. Das größte anzunehmende Ungeschick in diesem Sinne widerfuhr der Schwedischen Akademie, als sie sich im Jahr 1997 für Dario Fo entschied: das große Publikum lachte über einen Clown aus dem Vorabendprogramm, der Literaturbetrieb über die Schwedische Akademie.

Hinzu kommt, dass das wahre Maß des Irrtums sich erst im Lauf der Jahre zu erkennen gibt: Wenn sich der erwählte Autor trotz Nobelpreis nicht aus der Masse der Ruhmlosen herauszuheben vermag, wenn er unbekannt bleibt - so wie Gao Xing Jian, der Preisträger des Jahres 2000. Nicht nur, dass auf diese Weise die Anonymität des Autors wie die Wirkungslosigkeit der Akademie ratifiziert werden - es entsteht darüber hinaus der Verdacht, einzelne ihrer Mitglieder benutzten den Preis, um private Vorlieben und Bekanntschaften zu fördern. Dass der Lyriker Tomas Tranströmer, der Autor eines einzigartigen, über jeden literarischen Zweifel erhabenen Werks, den Preis bislang noch nicht bekommen hat, mag auch an den Zweifeln liegen, denen sich eine Schwedische Akademie aussetzen muss, wenn sie den Preis an einen Schweden verleiht.

Der größte mögliche Glücksfall für die Akademie heißt Orhan Pamuk: Ein Autor, der sich, als er den Nobelpreis zugesprochen bekam, für alle erkennbar auf dem Weg zur Weltgeltung befand. Aber noch war er nicht so weit. Die Akademie ging mit ihm ein Risiko ein, und sie wurde für ihren Mut reich belohnt. Noch keine Preisentscheidung war, nach medialen, kulturpolitischen und nach ökonomischen Maßstäben, so erfolgreich wie diese. Hier stieß ein großes literarisches Vermögen auf eine kulturelle und politische Situation, die viele neue Leser neugierig auf dieses Werk werden ließ. Im vergangenen Jahr war der Literaturnobelpreis ein Wirk- und Geltungspreis wie nie zuvor. Heute wird sich entscheiden, was die Schwedische Akademie aus diesem Erfolg macht.

© SZ vom 11.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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