Verfrühte Filmkritiken:Potter bringt alles durcheinander

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Wer zuerst kommt, hat als Erster Recht: Von dem Zwang, neue Filme lange vor dem Start, spätestens aber Stunden nach der Premiere zu besprechen.

Susan Vahabzadeh

Harry Potter bringt mal wieder alles durcheinander. Nicht zum ersten Mal, aber diesmal kommt der neue Film, Nr. 5, ziemlich zeitgleich mit dem neuen Buch, Nr. 7 (das große Finale) zusammen. Und bringt nicht nur das Zuschauer-, sondern auch das Kritikerverhalten gehörig auf Trab.

London, 3. Juli: Im strömenden Regen warten brasilianische Fans auf den Premierenauftritt ihrer Helden. (Foto: Foto: AFP)

Die New York Times hat in dieser Woche aufgedröselt, warum die Londoner Times auf ihrer Website wohl die Erstaufführung von "Harry Potter und der Orden des Phönix" in Tokio besprochen haben mag, obwohl der Film in Großbritannien und dem Rest der Welt erst nächste Woche in die Kinos kommt. Die Antwort ist einfach - weil es einen Wettlauf gibt ums erste Wort. Und das nicht nur im Fall des Hogwarts-Zöglings. Das Ganze hat sich rasend beschleunigt, seitdem es neben Zeitschriften, Zeitungen und Fernsehen noch das Internet gibt. Ungefähr zwei Stunden nach der ersten Aufführung eines Films stehen die ersten Kritiken im Netz.

Selbsternannte Kritikerpäpste gab es immer schon, das Internet aber hat inzwischen eine wahre Kritikerflut ausgelöst. Und manche Internetportale haben tatsächlich eine große treue Lesergemeinde. Die ersten Eindrücke zählen hier - wer zuerst kommt, so die heimliche Hoffnung, hat am ersten recht, macht den nachhaltigsten Effekt. Inzwischen werden auch große Zeitungen und Magazine unruhig, dass ihre Kritiker immer die letzten sein sollen. Das Argument, Leser wollten sich vielleicht erst über Filme informieren, wenn sie diese auch tatsächlich im Kino sehen können, ist in dem Moment vom Tisch, wo immer mehr Leute auf schnellere Medien ausweichen.

Dieses Wettrennen folgt überall, wo Filme besprochen werden, denselben Gesetzen. Es geht dabei natürlich immer nur um eine bestimmte Art von Kino - dass eine New Yorker Boulevardzeitung ihren Kritiker nach London fliegt, damit er sich ein paar Tage früher "Spider-Man 3" anschauen kann, erstaunt einen nicht allzu sehr. Der Mehraufwand wird aber fast überall dadurch ausgeglichen, dass man andere Sachen ganz weglässt - kleine Filme, die weder im Fernsehen vorkommen, noch genug Werbeetat haben, um die halbe Republik mit Plakaten vollzupflastern.

Die Letzten, die Interesse haben an den frühen Besprechungen, sind die Filmstudios - deren Marketingstrategen setzen sowieso mehr auf Werbung als auf Kritik, versuchen gern, ihre Filme mit Werbung ins Gespräch zu bringen, dann aber erst ganz spät zu zeigen, denn am liebsten ist ihnen die - zwangsläufig kritiklose - Berichterstattung in Unkenntnis des Films. Den Strategen dabei in ihre Paraden zu fahren, ist oft die letzte Möglichkeit, sich nicht an die Leine legen zu lassen.

© SZ vom 6.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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