Van Dyck und Rubens:Eine eigene Sonne

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Anthonis van Dyck war geprägt von seinem Lehrmeister Peter Paul Rubens, in dessen Werkstatt er seine Laufbahn begann. Doch der junge Künstler befreite sich zusehends vom Vorbild, reiste nach Italien und schuf schließlich seinen eigenen Stil.

Von Michael Rohlmann

Van Dyck ist noch bei Signor Rubens, und seine Arbeiten werden kaum weniger geschätzt als die des Meisters." So schrieb man 1620 in Antwerpen über den besten Schüler von Rubens, seinen berühmten "allievo". Jahre zuvor hatte Rubens das 1599 geborene Wunderkind in Werkstatt und Familie aufgenommen. Er muss ihn überaus geschätzt haben, neun Werke des jungen van Dyck sind später in Rubens' Kunstsammlung aufgeführt. Van Dyck zeichnete bei Rubens dessen Werke als Vorlagen für druckgrafische Reproduktionen. Er arbeitete an Gemälden mit, er führte nach den Skizzen des Meisters Teppichentwürfe aus. 1520 wurde im Vertrag für die Deckenbilder der Antwerpener Jesuitenkirche unter den Mitarbeitern, die Rubens' Erfindungen ausführen sollten, allein van Dyck namentlich erwähnt.

Wie kein Zweiter nahm Anthonis van Dyck den Stil und die Kompositionsmuster des Meisters in sich auf. In einigen Werken ist die Verwandtschaft der Malweisen so groß, dass die Forschung die Hand des Schülers lange nicht zu erkennen vermochte. All dies ist bekannt. Van Dyck studierte aber auch die Art, wie Rubens sich seinerseits an Vorbildern orientierte: Rubens hatte einst die antike Statue eines alten, runzeligen Fischers in einen sterbenden Seneca verwandelt ("Tod des Seneca", München). Dabei gesellte er dem lehrenden Philosophen einen aufschreibenden jungen Schüler bei, der aufmerksam beobachtend zur Figur seines Lehrers aufblickt.

Wie Rubens versucht van Dyck, antiken Vorbildern aus Marmor Leben einzuhauchen

Van Dyck schlüpfte in die Rolle dieses Schülers und studierte, imitierte und variierte immer wieder selbst das von Rubens genutzte antike Formvorbild des "Seneca". Der vorgeschobene faltige Charakterkopf mit den prononciert gespannten Sehnen des Halses begegnet dem Betrachter in der Münchner Ausstellung verwandelt in der Reihe der frühen Ausdrucksköpfe oder als Petrus einer Apostelserie. Als alter Kranker erwartet die Figur in "Christus und der Lahme" ihre Wunderheilung, eine Vorzeichnung zeigt die Statuenhaltung gar als genaue Kopie. Den Kopf der Antike wird van Dyck später einem Männerporträt in Kassel als gemalte Skulptur beigeben.

Wie Rubens sucht auch der junge van Dyck den antiken Marmor zu verlebendigen. Vielleicht am schönsten gelang es bei dem frühen Münchner "Hl. Sebastian", wo der Körper des Märtyrers in der nackten Pose des berühmten Apolls von Belvedere aufleuchtet: Der Gott des Bogenschießens wird zum Opfer der Pfeilschüsse werden. Doch seiner überirdisch idealen Schönheit können die Häscher nichts anhaben.

Über Stil, Motive und Arbeitsweise hinaus erstreckte sich van Dycks Rubens-Nachfolge auch auf Werkstattorganisation und -methoden. Sogar in Leben und Karriere imitierte der Schüler den Meister. Wie Rubens zog van Dyck lange Jahre nach Italien, wurde Hofmaler der Brüsseler Regenten, arbeitete für König und Adel in England, stieg in den Adelsstand auf, lebte wie ein Künstlerfürst, legte sich eine eigene Kunstsammlung an. Als Rubens 1628/30 zu diplomatischen Missionen verreist war, belieferte van Dyck den Kunstmarkt in Flandern wie ein Statthalter. Als einzigen Künstler nach Rubens ernannte ihn die Antwerpener Maler-Gilde 1634 zum Ehrendekan. Nach Rubens' Tod sollte er dessen Werkstatt und Position in Antwerpen übernehmen, doch starb van Dyck, bevor er aus England nach Antwerpen zurückkehren konnte.

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(Foto: bpk/Bayerische Staatsgemäldesammlungen)

Zweimal die gleiche Szene, doch mit unverkennbaren Unterschieden: Während Rubens den trunkenen Silen als noch annähernd lustigen Gesellen schildert...

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(Foto: bpk/Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

...mutiert der Satyr bei van Dyck zu einem hoffnungslos betrunkenen alten Mann.

Aber van Dycks Schaffen ist begrenzter als das seines Meisters. Große Ausstattungszyklen fehlen, Projekte für Bildteppiche in England oder die erhoffte Louvre-Ausmalung in Paris scheiterten. In Temperament und Begabung unterschied er sich deutlich von Rubens. So fehlen van Dycks Kunst die Vitalität und Leidenschaften, die Exzesse von Fleisch und Brutalität, das Heroische und Stürmische, der Sinn und das Vermögen für die großartige monumentale Komposition, die intellektuelle Gelehrtheit und philosophische Reflexion.

Van Dyck ist leiser. Zartes und tiefes Empfinden, Stimmung und Sentimentalität, Adel und Anmut kennzeichnen seine vornehme, erlesene Schönheit. Elegant schimmern die modischen Kleiderstoffe seiner Porträtierten, sprechen ihre wie lebenden Gesichter und feinen langen Hände. Bei "Die Heilige Familie in einer Landschaft" rückt das Glück des sanft und selig an Mariens Brust eingeschlafenen Kindes in den Mittelpunkt der Bildfläche. Maria sucht es schützend zu behüten, den kostbar-schönen Moment auf ewig zu bewahren. Doch schon erkennt ihr Blick im Schatten den Hinweis des Joseph, dessen Geste sachte zur weiteren Flucht mahnt. In der "Pietà" fließt die ergreifende Klage der um ihren getöteten Sohn trauernden Gottesmutter über ihre geöffnete Hand in eine stille, tröstende Himmelselegie tizianesker Abendstimmung.

Die bei van Dyck in Bilderpaaren Dargestellten sind so lebendig, dass sie einander wechselseitig wahrnehmen. So schmiegt sich die kleine Anna Maria Rombouts ganz eng an den Arm der Mutter, weil sie im benachbarten Porträt eine neben dem Vater stehende, furchteinflößend dunkle Bildnisbüste erblickt hat. In einem anderen Porträtpaar deutet der joviale, lebhafte Filips Godines mit seinem Arm hinüber auf das kleine Hündchen im Porträt der Ehefrau. Lustig springend sucht es dort offenbar an Stelle des Ehemanns die etwas strenge Sebilla vanden Berghe zu erheitern.

Einen ästhetischen Heiligen Sebastian, noch von keinem einzigen Pfeil durchbohrt, malte van Dyck in dieser Fassung von 1620/21. (Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, München)

Der späte Münchner "Hl. Sebastian" und die "Susanna und die Alten" bildeten in der Sammlung ihres Neapolitaner Bestellers offenbar ein Gemäldepaar. Es verband die bedrängten schönen Körper eines jungen Mannes und einer jungen Frau miteinander. Die Badende wird von zwei Alten überfallen, zwei Häscher fixieren den Märtyrer. Die Frau sucht ihren Körper noch im Tuch zu verbergen. Dabei sieht sie auf den bereits nackten Helden im Pendantbild hinüber, der in der Bedrohung Haltung bewahrt. Ein Reitersoldat weist dort auf den Heiligen und blickt zugleich zur Badenden im Nachbarbild. Van Dyck entfaltet hier ein poetisches, spannungsvolles Potenzial, das sich nicht in der dramatischen Nacherzählung frommer Geschichten erschöpft.

Der schöne Sebastian ist ein Selbstporträt des Künstlers. Sich sehen lassen und gesehen werden bestimmten van Dycks Existenz. Die älteste Biografie vermeldet, van Dyck sei begierig gewesen, berühmt zu werden, alle Augen auf sich zu ziehen. So trug er kostbare, auffällige Kleidung mit Goldkette vor der Brust und Federn am Hut. Sein berühmtestes Selbstporträt zeigt ihn neben einer Sonnenblume. Meist wird es unter Hinweis auf verbreitete Emblematik als Selbstdefinition eines Höflings verstanden. Wie die Sonnenblume sich nach der Sonne richtet, von der sie Licht und Leben erhalte, so wendet sich der Cortegiano stets treu zum Herrscher. Doch hatte sich van Dyck nicht auch als Künstler auf Rubens wie eine kunstspendende Sonne ausgerichtet? Im Porträt freilich ist es der Maler, zu dem die Blume sich dreht. Als sei es jetzt der arrivierte und berühmte Anthonis van Dyck selbst, der die Schönheit erblühen lässt, eine eigene Sonne im Reich der Kunst.

Der Autor lehrt Kunstgeschichte an der Bergischen Universität Wuppertal.

© SZ vom 18.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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