Universitäten:Lebenszeit oder gar nichts

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Deutschland braucht guten Forscher-Nachwuchs. Aber es gibt ein Durcheinander bei den akademischen Karrierewegen. Das "Tenure Track"-Modell nach US-Vorbild soll es nun richten. Aber lässt es sich überhaupt auf deutsche Verhältnisse anwenden?

Von Florian Meinel

Kürzlich wurde ein "Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs" vorgestellt (die SZ berichtete). Der Bericht handelt von einer Berufsgruppe, die im Besitz der begehrtesten Stellen ist, aber über unzumutbare Arbeitsbedingungen zu klagen pflegt; die höchste Ansprüche stellt, aber die besten Jahre in unsicheren Kettenbefristungen mit vagen Erfolgsaussichten verbringt: Es sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschulen, die keine Professoren sind.

Das ist kein Paradox. Es hängt mit Besonderheiten jener Berufsgruppe zusammen, die es bis zu einem gewissen Grad duldet, sich schlecht behandeln zu lassen: Die meisten verlassen die Universität nach der Promotion wieder und nehmen schlechtere Bedingungen sozusagen als Investition in Kauf, weil sie sich, oft mit Recht, von der Qualifikation langfristig bessere Chancen in der freien Wirtschaft versprechen. Und auch wer die Wissenschaft zu seinem Beruf machen möchte, vermag sich lange mit der Aussicht auf die Professur zu trösten.

Die Interessen des wissenschaftlichen Nachwuchses sind notorisch schlecht organisiert. Nicht etwa, weil Organisation nicht nötig wäre, sondern weil ihre Interessen, im Gegensatz zu den Interessen der Professoren oder auch den Interessen, sagen wir, der Milchwirtschaft, instabil sind. Denn niemand kann, niemand möchte Nachwuchs bleiben, sondern sich irgendwann etablieren. Hauptberufliche Interessenvertreter des Mittelbaus gelten an Universitäten deshalb eher als Problemfälle denn als legitime Ansprechpartner.

Zudem ist es mit der Nachwuchsförderung wie mit dem Verbraucherschutz: Alle sind immer dafür. Das Etikett ist wissenschaftspolitisch höchst verkaufsfördernd, auch wenn die Maßnahme vorrangig andere Zwecke hat. So hat die sagenhafte Steigerung von Nachwuchs-Förderinstrumenten und -stellen durch die Exzellenzinitiativen seit 2006 überhaupt erst den jüngsten Überhang von Postdoktoranden in befristeten Projektfinanzierungen erzeugt. Die Entscheidungsmacht über Karriereverläufe an der Universität wurde zugleich in den Händen der großen Drittmittel-Bewilligungsinstitutionen konzentriert, in denen der Nachwuchs, anders als in den Universitätsgremien, gar nicht repräsentiert ist.

Die Kernfrage des Forscher-Nachwuchses in Deutschland ist also nicht das Mehr oder Weniger. Es ist die Frage, wie akademische Karrieren von der Promotion bis zur Professur verlaufen. Hier konkurrieren inzwischen eine Vielzahl unterschiedlicher Wege miteinander. Sie reichen von der traditionellen Assistentenstelle an einem Lehrstuhl mit anschließender Habilitation - das gibt es nach wie vor - über die Leitung von Nachwuchsgruppen an Max-Planck-Instituten, die prestigeträchtigen "Emmy-Noether-Fellowships" der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die nicht minder begehrten Starting Grants des Europäischen Forschungsrates (ERC) - bis hin zur Juniorprofessur.

Die Juniorprofessur gilt in den meisten Fächern als gescheitert

Diese, die Juniorprofessur, war vor fünfzehn Jahren der erste Versuch einer Reform der akademischen Karrierewege, gilt aber heute in den meisten Fächern als gescheitert. Während die Unis Juniorprofessoren voll in die Pflicht nahmen, eröffneten sie ihnen in der Regel nach sechs Jahren keine weitere Perspektive. Die etwas läppische Bezeichnung für eine Personengruppe, die im Jahr 2014 bei Antritt der Professur durchschnittlich 35,2 Jahre alt war, in den Sprach- und Kulturwissenschaften sogar 37,1 Jahre, tat ihr Übriges. In konservativen Fächern munkelte man von einem informellen Verbot, den Professorentitel als Juniorprofessor überhaupt zu führen.

Zu guten Forschungsbedingungen und zur Attraktivität des Arbeitsumfeldes muss vor allem eine gewisse Planbarkeit von Karriereverläufen hinzukommen. Damit ist, im Gegensatz zu einem verbreiteten Vorurteil gegen die akademische "Generation Y", nicht die garantierte Lebenszeitstelle mit Ende zwanzig gemeint. Dass Uni-Karrieren riskant sind und scheitern können, bestreitet niemand. Ebensowenig, dass befristete Stellen eine für das Wissenschaftssystem wichtige Funktion haben: Wären qualifizierende Nachwuchsstellen unbefristet, müsste der Druck zur intellektuellen Risikobereitschaft auf andere Weise erzeugt werden. Die Planbarkeit von Karriere bedeutet also etwas anderes: dass die Entscheidung, ob der einzelne Forscher eine dauerhafte Beschäftigung in der Wissenschaft in Aussicht hat, zu einem absehbaren Zeitpunkt fällt und dass sie nach fairen Kriterien getroffen wird. Karriererisiken sind für junge Forscher um so tolerabler, je weniger sie in der Abhängigkeit von Willkürentscheidungen bestehen.

Bund und Länder wollen dieses Problem jetzt mit einem neuen Modell der wissenschaftlichen Standardkarriere lösen. Der Weg zur Professur soll künftig über eine Juniorprofessur mit "Tenure Track" führen, für die man sich wie bisher durch die Promotion und weitere Forschungserfahrung qualifiziert. Anders als bisher werden die Leistungen aber nach sechs Jahren evaluiert. Ist das Ergebnis positiv, muss die Universität ihre Juniorprofessorin in eine reguläre Lebenszeitprofessur übernehmen. Um den Universitäten dieses neue Modell schmackhaft zu machen, finanziert der Bund tausend solcher Stellen für die Dauer von acht Jahren - unter der Bedingung, dass die Unis auch ihre anderen Professuren in der Regel nach dem neuen Modell besetzen. Dort freut man sich: Mehr Stellen sind immer willkommen, vor allem aus Bundesmitteln, nur hätten es gerne dreimal so viele sein dürfen.

Wie wird sich die Einführung von Tenure Track auf den Forschernachwuchs in Deutschland auswirken? Die Vereinbarung, die Bund und Länder im Juni 2016 darüber getroffen haben, lässt noch vieles offen, vor allem die Gestaltung der Evaluation. Nach welchen Kriterien soll eigentlich nach der Erprobungszeit eines Anwärters künftig über alles oder nichts entschieden werden? Nach individuell vereinbarten oder nach allgemeinen Leistungsindikatoren? Vor allem in den Geisteswissenschaften, in denen sich Forschungsleistungen schlecht messen lassen, könnte das neue Modell auch wieder ganz neue Formen von Günstlingswirtschaft und Anpassungsstrategien befördern. Und vor allem: Wer soll die Entscheidung eigentlich treffen? Delegiert die Universität sie an unabhängige Gutachter, verspricht das zwar Objektivität, sie entledigt sich damit aber jener Verantwortung für ihr Personal, auf die sie das Tenure-Track-Modell gerade verpflichten soll. Entscheidet die Fakultät als Kollektiv, verschieben sich die Kriterien: Hat man sechs Jahre lang zusammengearbeitet, beurteilt man sich nicht mehr vorrangig nach seiner fachlichen Exzellenz, sondern nach seiner Qualität als Kollege.

"Tenure Track" nach US-Vorbild klingt gut, geht aber anders

Völlig ungeklärt ist auch der Fall des Scheiterns. Das amerikanische Vorbild für den "Tenure track" beruht auf einer starken Hierarchie zwischen den Universitäten. Wer an einer der besten von ihnen kein Tenure bekommt, findet eben anderswo noch ein gutes Auskommen. Eine solche konzentrierte Ausbildung des Forschungsnachwuchses bei wenigen führenden Unis möchten vor allem die deutschen Bundesländer unbedingt vermeiden; sie haben sich deswegen die Verteilung der Tenure-Track-Professuren nach Länderproporz versprechen lassen. Soll also künftig die negative Bewertung an irgendeiner Universität, in irgendeinem Bundesland das endgültige Aus einer wissenschaftlichen Karriere in Deutschland bedeuten, weil man niemanden mehr nimmt, der anderswo durchgefallen ist? Dann hingen die Lebenschancen an einer einzigen Entscheidung, im Vergleich zu der die heutige Vielfalt undurchschaubarer Karrierewege schon wieder an Reiz gewönne. Ob es wirklich so kommt, liegt jetzt in der Verantwortung der Universitäten.

Florian Meinel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität und derzeit Sprecher der "Jungen Akademie".

© SZ vom 27.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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