Über Lebenskunst:Steine rollen, Hände waschen

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Welches Buch bietet Trost, welcher Film beruhigt die Nerven, welches Kunstwerk weitet den Blick? Empfehlungen des Feuilletons. (Foto: SZ)

Wie Albert Camus in seinem Essay über Sisyphos in der Qual der ewigen Wiederholung den Aufruf zum Widerstand entdeckte - und was wir davon lernen können.

Von Dominik Fürst

Es ist schon ein verwegener Gedanke, mit dem Albert Camus seinen Essay "Der Mythos des Sisyphos" schließt. Sisyphos, König in der griechischen Mythologie, hat die Götter einmal zu oft ausgetrickst, zur Strafe lassen sie ihn einen riesigen Felsblock einen Berg hinaufwälzen, immer und immer wieder, ohne Ende in Sicht. Oben angekommen, rollt der Stein wieder nach unten. Ein grausames Schicksal. Camus schreibt: "Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen."

Werden die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Zwangsmaßnahmen ein absehbares Ende haben? Noch hat kein Politiker gewagt, einen Zeitpunkt zu nennen, an dem alles vorbei sein wird. Und so kann es sich bisweilen zu Hause im Wohnzimmer so anfühlen, als hätten wir bis in alle Ewigkeit gegen das Virus zu kämpfen. Daheim zu bleiben. Und immer wieder Hände zu waschen. Die Vorstellung von Sisyphos als glücklichem Menschen kann hier Trost spenden: Wenn er es hinbekommt, schaffen wir es auch.

Camus' Existenzialismus entstammt einer Zeit, in der die bekannte Ordnung zerfiel. Der Faschismus kämpfte gegen die Demokratie und den Kommunismus, eine Antwort auf letzte Fragen war von keinem der Systeme zu erhoffen, von Gott ganz zu schweigen. Während um ihn also der Krieg tobt, entwirft Camus in seinem 1942 erschienenen Büchlein eine "Philosophie des Absurden". Der Mensch, dessen Natur es ist, nach Erklärungen zu verlangen, trifft darin auf eine Welt, die sich nicht erklären lässt. Er kann daran verzweifeln oder sich der Herausforderung stellen, der absurden Welt die Stirn bieten. Camus' Empfehlung ist eindeutig: Der aufrechte Mensch muss im Widerstand gegen die Umstände leben: "Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann."

Zwei andere Auswege aus der hoffnungslosen Lage beschreibt Camus als Schummelei. Sowohl der Selbstmord als auch die Hinwendung zur Religion würden lediglich bedeuten, den nötigen Kampf zu vermeiden. Es ist kein Zufall, dass Camus aus der Ich-Perspektive schreibt, er macht sich selbst Mut. Aus der Erkenntnis, dass die Welt und das Leben keinen Sinn haben, folgert er "meine Auflehnung, meine Freiheit und meine Leidenschaft." Er empfiehlt ein Nicht-Nachgeben, das alle Widerstände bezwingt. "Wenn man alles recht betrachtet, wird eine entschlossene Seele stets damit zurechtkommen."

Es handelt sich aber bei Camus nicht um eine Philosophie der Hoffnung, sondern um eine der Akzeptanz. Und das ist der wohl wichtigste Unterschied zur gegenwärtigen Lage. Es gibt natürlich ausreichend und sehr berechtigt Hoffnung, dass die Menschheit das Coronavirus eindämmen und seine katastrophalen Folgeschäden reparieren wird. Die Mittel der Auflehnung und inneren Revolte jedoch, die Camus seinen Lesern vor 80 Jahren an die Hand gab, taugen auch heute zur Krisenbewältigung. Sisyphos also: Jedes Mal, wenn er oben ankommt, rollt sein Felsen ins Tal zurück. "Ich sehe, wie dieser Mann schwerfälligen, aber gleichmäßigen Schrittes zu der Qual hinuntergeht, deren Ende er nicht kennt", schreibt Camus. Das sei die Stunde des Bewusstseins: "In diesen Augenblicken, in denen er den Gipfel verlässt und allmählich in die Schlupfwinkel der Götter entschwindet, ist er seinem Schicksal überlegen."

Hier lehnt sich einer gegen sein Schicksal auf, indem er es annimmt. Vielleicht verlangt die düstere Gegenwart auch von uns einen solchen Akt der Revolte. Und sei es nur durch Händewaschen und zu Hause bleiben.

© SZ vom 06.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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