Udo Lindenberg an der Isar:Geile Hängung

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Kommt ein Mann zum Betriebsarzt, sagt: "Und wenn wir untergehen, ist das auch egal ..." Muaaaah! Nein, jetzt mal ganz im Ernst, Leute: Die Brüder Udo und Erich Lindenberg zeigen ihre Kunst in München - bei einem Onkel Doktor.

MARTIN ZIPS

Dieser Tag wird beim Betriebsarzt von Siemens enden.

Erichs Handy klingelt. Sein Bruder ist jetzt bei Dieter im Intendantenbüro. Wir sollen mal rauf kommen.Die Gebrüder Lindenberg: Udo, wie immer, mit Hut. (Foto: Foto u. Copyright: Regina Schmeken)

Bei Häppchen und Klaus Doldinger in ziemlich stickiger Luft.

Udo Lindenberg wird einen Klumpen grünes Kaugummi aus dem Mund nehmen, es auf den Verstärker legen und vor dem Behandlungszimmer "Hinter dem Horizont geht es weiter" singen.

Ein paar Dutzend Zuhörer werden sich auf einem sehr engen Flur an 38 Strichmännchen-Zeichnungen des einstigen Panikrockers vorbeidrücken, und Betriebsarzt Müller wird sagen, dass für ihn heute ein Traum in Erfüllung gegangen sei. Hinten, neben dem Wartezimmer, wird Udos Bruder Erich stehen und lächeln.

Schwabing am Aschermittwoch. Der Maler Erich Lindenberg steht in der Galerie Hermeyer, umrahmt von eigenen Werken. "Lesen Sie Bazon Brock", sagt Erich Lindenberg. "Er hat meine Kunst am besten beschrieben." Bazon Brock. Kunstprofessor aus Wuppertal. Schwer zu verstehen. Eigentlich überhaupt nicht zu verstehen. Vielleicht kann man es ja so sagen: Lindenbergs Werke sind Farbflächen, aus denen mal liegende, mal sitzende Figuren, mal Quitten, mal Affenschädel hervortreten. Geborgenheit und Schutz strahlen sie aus. Angst und Bedrohung. "Sitzende und Dialoge" heißt die Ausstellung des seit mehr als 40Jahren in München lebenden Künstlers, der Udos Bruder ist.

Erich. Wurde 1938 im westfälischen Gronau geboren und ist damit acht Jahre älter als Udo.

Er habe noch die volle Ladung Faschismus abbekommen, sagt Erich. Naziaufmarsch, Bombenhagel. Vielleicht habe ihn das so still und bedächtig werden lassen. Vielleicht war es Vater Gustav, unglücklicher Installateur und glücklicher Kneipen-Komödiant, der seinen Söhnen den Weg in die Kunst wies.

Nach dem Krieg machte Erich eine Textil-Lehre. Er malte Caspar David Friedrich und van Gogh nach, studierte an der Folkwangschule Essen und an der Akademie der Bildenden Künste in München, arbeitete am Landesamt für Denkmalpflege. Halbtags.

Einmal - 1976 - gab es von ihm eine Ausstellung im Lenbachhaus. Und vor ein paar Jahren hat Erich aus Gipsfragmenten im Treppenhaus des Denkmalpflegeamtes eine Max-I.-Joseph-Installation errichtet. Sehenswert.

Wenn Erich malt, hört er Bayern2. Selten hört er Udo-Platten. "Die Texte sind mir zu simpel." Aber nix gegen Udo. Ein lieber Bruder und völlig anders.

Seit zehn Jahren malt auch Udo. Cartoons. Frauen, die Männer wie Marionetten am Penis herumführen.

In seinem Atelier, unter dem Dach des Hamburger Hotels Atlantic, illustriert Udo alte Lieder wie "Andrea Doria" oder "Rudi Ratlos". Manchmal mischt er Farben mit Likör ("den kannste von der Leinwand lutschen"), stellt in Kirchen oder im Erotikmuseum aus.

Gelegentlich setzt sich Udo an ein Schlagzeug, das Farbe verspritzt, den Ejakulator. "Leicht over the edge wird Künstlertum ideenreicher." Vor ein paar Monaten luden Udo und Erich zur ersten gemeinsamen Ausstellung. Nach Goslar.

"Dr.Klecks und Gevatter Tod", schrieb die Lokalzeitung. Erich sagt, das sei nicht nett gewesen. "Trotzdem gut, wenn man wenigstens über den Bruder wahrgenommen wird." Er lacht. In Gronau, ihrer Heimat, gibt es einen Udo-Lindenberg-Platz.

Einen Erich-Lindenberg-Platz gibt es nicht.

Nun steht Erich mit dunklem Mantel und Baskenmütze am Künstlereingang des Münchner Residenztheaters. Bazon Brock, der Wuppertaler Kunstprofessor, kommt zufällig vorbei.

Herzliches Begrüßen. Dann muss er weiter. Burda wird 65. "Brocks Text ist wirklich fantastisch", sagt Erich und blickt auf die Uhr.

"Mein Bruder ist noch nicht da. Immer dieses Gewarte. Sie müssen Brock lesen." Udo hat Erich oft unterstützt. Nun unterstützt Erich Udo. Mit seiner Show "Atlantic Affairs" - einer Dampferrevue mit Texten deutscher Emigranten wie Brecht, Tucholsky, Hollaender - wollte Udo unbedingt ins Residenztheater.

Geld fehlte - und Erich ging mit seinem Nachbarn, dem Siemens-Arzt, essen. Irgendwie kam das Geld zusammen, heute und morgen spielt Udo im Resi. Erichs Handy klingelt. Sein Bruder ist jetzt bei Dieter im Intendantenbüro. Wir sollen mal rauf kommen.

"Ej, Du schreibst was über Erich", sagt Udo mit Hut und Nietengürtel. "Is ja super. Erhabene Bilder, der Erich." "Weißt Du, Udo", sagt Erich, "ohne Dich komme ich nicht ins Feuilleton." Das ist natürlich nur ein Scherz. Dann muss Udo mit Dieter Dorn konferieren. Erich erzählt über Udos Wanderjahre.

Damals habe sein Bruder für US-Soldaten in Libyen gespielt. "Unsere Eltern machten sich Sorgen. Aber wenigstens er wurde dann ja berühmt." Onkel Pö, Interconti, eine Schalmei von Honecker, Gelage, Konzerte, Herzklinik Bad Oeynhausen, Trennung von der Plattenfirma, 30-jähriges Bühnenjubiläum bei RTL.

Dann steht Udo im engen Flur des Betriebsarztes von Siemens. Der Panikpräsident bedankt sich mit Cartoons und Gesang für die Spenden. Jazzfreund Doldinger erzählt. "Damals hattest Du noch einen zerbeulten Renault und ein Pony am Kopf."

Im Hintergrund hüpft Otto Waalkes über eine Videoleinwand. Udos Bilder hat übrigens Erich im Flur aufgehängt. "Hey Erich", ruft Udo, "geile Hängung."

Erich Lindenberg: "Sitzende und Dialoge", bis 3. April, Galerie Hermeyer, Wilhelmstr. 3; Udo Lindenberg: "Cartoons", bis 31.März, Wittelsbacherplatz 2; "Atlantic Affairs", Residenztheater.

© SZ v. 11.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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