TV-Serienklassiker (12):Ally McBeal - Die Gefühlsanwältin

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Ally McBeal war in jenen Jahren ein Riesenerfolg, als Amerika noch unbeschwert zum Psychiater gehen konnte.

Christian Mayer

Wie sie mit gespielter Entrüstung die Brauen hochzog, ihre schlanken Beine herzeigte, den viel zu großen Mund zur Schnute verzog, die Augen erschreckend weit aufriss - so was konnte nur Ally McBeal. Sie war die Heldin im Gerichtssaal, die ihre Prozesse auf abenteuerliche Weise gewann, und sie war eine unverdrossene Verliererin im Geschlechterkampf. Sie trug die kürzesten Röcke und liebte den Soul.

Calista Flockhart verkörperte die Anwältin Ally McBeal (Foto: Foto: AP)

Später, als die Serie auch in Deutschland eine Fangemeinde bei sinnsuchenden Singles gewonnen hatte, musste man besorgt um sie sein. Ally schien in jeder Folge dünner zu werden, während man als Zuschauer beim spätabendlichen Dienstagsritual vor der Glotze allmählich außer Form geriet.

Ally McBeal, gespielt von Calista Flockhart, war anders als die Frauenfiguren, die im amerikanischen Fernsehen Karriere machten. Sie allein gab der Serie ihr Gesicht. Beruflich zwar erfolgreich, scheute Ally keine Blamage und besaß einen Humor, der in Deutschland von einer kleinen, aber treuen Zielgruppe verstanden wurde.

Plappernde Exzentrikerin

Für manche Menschen war die plappernde Exzentrikerin der einzige Grund, einen Sender wie Vox zu programmieren, um bei der Kamerafahrt über die Brücke nach Boston zu gelangen: in Allys Welt.

Diese Welt war das unbeschwerte Amerika der Clinton-Regierung vor dem Krieg gegen den Terror, als präsidentielle Blowjobs noch Staatsaffären auslösen konnten. Eine Welt des materiellen Wohlstands, in der Beziehungsprobleme vor Gericht oder beim Psychiater verhandelt wurden.

Sie war erfolgreich ...

Ally McBeals Boston war weit weniger kalt und zynisch als das New York in Sex and the City. Die Frauen schienen weniger berechnend und konsumfixiert als die Desperate Housewives, die viel von Allys Schlagfertigkeit übernommen haben. Dass es jedoch nicht primär um Designerschuhe, Designertaschen und Designersex ging, machte es sogar für Männer möglich, diese Serie zu lieben.

In Erinnerung bleibt Ally als Romantikerin der Yuppie-Hochphase. Sie glaubt an die Liebe und erfährt zugleich die Unmöglichkeit einer dauerhaften Beziehung: Jedes ihrer Dates endet in einer Katastrophe. Sie ist ein sozialer Mensch, deshalb wohnt sie in einer WG mit ihrer besten Freundin, die von der Kraft ihrer Brüste überzeugt ist.

Nicht ohne Selbstmitleid trauert Ally ihrer Jugendliebe hinterher: dem unreifen Billy, der mit seiner Ehefrau im Irrenhaus der Kanzlei Cage & Fish arbeiten muss. Schon in der ersten Staffel schafft dieses Dreiecksverhältnis komische Minuten-Dramen, die auf der Unisex-Toilette ihren Höhepunkt haben. Bevor dann der nächste Gag in den Gerichtssaal führt, wo es erneut um Eifersuchtsanfälle, heilbare Neurosen und bizarre Fremdgänge geht.

Keine andere Serie hat es vermocht, die Eigentümlichkeiten des amerikanischen Gerichtswesens so hinreißend zur Schau zu stellen. Bei den Prozessen geht es so unwahrscheinlich zu, dass es quietscht. Nicht nur, wenn Allys Anwaltskollege John Cage die Geschworenen mit seinen Gummisohlen ablenkt, wenn er mal wieder keine Argumente hat.

... aber auch immer allein

Richter lassen sich erpressen, Staatsanwältinnen zu Tränen rühren, Mandanten zu idiotischen Forderungen hinreißen. Das Gericht urteilt nicht nach dem Gesetz, sondern im Geist des McBealismus. Die politische Korrektheit jener Jahre wird hier zur Karikatur. Das machte die Serie in Juristenkreisen zur Pflichtveranstaltung, und selbst im Deutschen Bundestag entstand eine überparteiliche Fraktion der Allykraten, die sich jeden Dienstag zur gemeinsamen Sitzung traf.

Zu den Stilmitteln des preisgekrönten Drehbuchautors David E. Kelley zählt die hemmungslose Übertreibung, eine Art magischer Realismus. Der blonden Sekretärin Elaine, die das Intimleben aller Anwälte vorbeten kann, wächst ein riesiger Kopf, wenn sie triumphiert, während Ally als traurige Schrumpfversion in der Mülltonne landet. Manchmal lässt Kelly seine Heldin einfach nur tanzen, bis ihre Beine zum Hals schwingen.

So ging das fröhlich weiter, bis in den Oktober 2001, als in den USA die fünfte Staffel anlief - keine gute Zeit für selbstironische, eher unpatriotische Geschichten. Bezeichnenderweise verschwanden nun wichtige Mitspieler. Kelleys Gagmaschine erlahmte. Ally hatte auf einmal eine Tochter zu versorgen und kein Interesse mehr an aussichtslosen Fällen und hoffnungslosen Typen.

Das fing an zu nerven. Die Begeisterung der Zuschauer erlosch. Denn Erziehungsprobleme waren das Letzte, das man sehen wollte. Auch Kelleys aktuelle Juristenserie Boston Legal mit William Shatner und James Spader kommt leider nicht an den früheren Charme heran. Und so bleibt die Erinnerung an die frühen, nicht ganz so spindeldürren Jahre der großen Gefühlsanwältin Ally McBeal.

© SZ vom 2.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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