TV-Kritik: "Wer wird Millionär?":"Eine Riesensauerei, was hier passiert"

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Viele Wünsche, viele Fragen: Bei der weihnachtlichen Familien-Ausgabe von "Wer wird Millionär?" sorgte sprechendes Brot für Kopfzerbrechen - Günther Jauch witterte gar eine "Riesensauerei".

Irene Helmes

Am letzten Adventssamstagabend - zwischen einer Reportage von "Explosiv Weekend" über Brandschutz in Swingerclubs und "Hape Kerkeling live" - hat sich RTL entschlossen, Bescherung zu feiern. Oder zumindest zehn Familien die Chance zu bieten, sich bei Günther Jauch zur Million zu raten.

Bekannte Spötteleien: Moderator Günther Jauch beim Familienspecial von "Wer wird Millionär?" (Foto: Foto: dpa)

So liefen sie denn auch erwartungsfroh ein im gleißenden blauen Licht der Rate-Arena, auf dem Weg zur vermutlich größten Chance ihres Lebens. Im schlimmsten Fall zur größten Blamage. Im Gegensatz zu den normalen Regeln durften diesmal drei Verwandte gemeinsam raten. Weihnachten macht's möglich.

Günther Jauch wirkte gut gelaunt, als er die erste Familie begrüßte. Familie Dohmen, Vater, Mutter, Oma und sieben Kinder - letztere repräsentiert durch den 11-jährigen Christian. Der mauserte sich schnell zum ersten Sieger des Abends. "Sie machen hier im Grunde nur auf moralische Unterstützung?", mutmaßte Jauch - und tatsächlich riet sich der Sechstklässler souverän alleine durch die Einstiegsfragen.

Latein als Lieblingsfach, kein schlechter Weg, Bildungsfreund Jauch zu beeindrucken, "adventus, adventuuus", da schienen sich zwei gesucht und gefunden zu haben. Die erste Krise bei der 1000-Euro-Hürde, als es zu entscheiden galt, ob der Mensch nun 200 Gehirnzellen oder doch eher 200 Knochen habe, wurde von Oma, Mutter und Sohn etwas zögerlich, aber glimpflich überwunden.

"Sollen wir einfach sagen, Christian ist schuld?", schlug Jauch einige Fragen später bei den 32.000 Euro vor - der 11-Jährige tippte erneut ungerührt richtig, dass auf der 2-Euro-Münze "Einigkeit und Recht und Freiheit" eingraviert ist. Mit den 32.000 ging Familie Dohmen auch von dannen. Dass Kaugummi schon vor Jahrhunderten bei amerikanischen Ureinwohnern als "Chicle" bekannt war, wusste auch der älteste Sohn der Großfamilie als Telefonjoker nicht. Halb so schlimm: "Meine Walkie-Talkies sind mir sicher", freute sich Christian.

Überhaupt: Wünsche. Den Kindern die Ausbildung ermöglichen, ein Klavier kaufen, das man leise stellen kann (die Nachbarn drohen mit Unterlassungsklage), "viel reisen" - die Kandidatenfamilien gaben sich bodenständig. Zu Luftschlössern inspirierte die Aussicht auf die Million niemanden.

Eher schien die ganze Sendung von der unaufgeregten Erfahrung einer Realität bestimmt, in der "Zocken" wenig empfehlenswert scheint. Sogar der forsche 9-jährige Sohn der zweiten Kandidatenfamilie Wickert, der die 500-Euro-Frage beantwortete, ohne überhaupt die vorgeschlagenen Antworten abzuwarten ("Obelix") und noch bei 8000 Euro Jauchs Verunsicherungstaktik erfolgreich ignorierte ("hab ich auf einer 'Was ist was'-Kassette gehört"), gab sich bei der 125.000-Euro-Frage als Stimme der Vernunft - "ich meine, wir hören jetzt auf". 64.000 Euro also für Familie Wickert.

Bühne frei für den dritten Streich: Familie Thewes, genauer Oma, Mutter und Tochter, auf die Kandidatenstühle gebracht durch die Schnelligkeit von Vater Thewes in der Auswahlrunde. Dass die Lunge keine Kiemen, sondern Flügel hat, dass Charlie Chaplin eher mit Slapstick in Verbindung gebracht wird als mit Joystick oder Deostick - keine Selbstverständlichkeiten mehr in dieser Runde.

"Es liegt so viel Wahres im Falschen und umgekehrt", seufzte Jauch und beobachtete zunehmend ungläubig, wie seine Kandidatinnen an weichenstellenden Eisenbahnern, "Bauer sucht Frau"-Details und Fürst-Pückler-Eis-Geschmacksrichtungen zur 2000-Euro-Frage voranschlingerten: "In welchem Grimm-Märchen kommt sprechendes Brot vor?".

'Frau Holle' meinte Tochter Thewes ausschließen zu können, sie habe das Märchen schließlich gelesen. Einen 50:50-Joker und einen Publikumsjoker weiter war der Irrtum offenbar und Jauchs bekannte Spötteleien beherrschten nun den Auftritt, der immerhin auf verschlungenen Wegen zu einem Gewinn von 32.000 Euro führte.

"Super, wie das hier läuft". "Soviel Dusel war selten".

Renoir "gibt's, spielt aber kaum eine Rolle". Jauch war auf Touren. Als Tochter Michelle nach dem Ausstieg und der nachträglichen Auflösung der letzten Frage einwarf, sie habe doch vorher die Antwort gesagt, gab es von Jauch nur noch ein trockenes "ist ne Riesensauerei, was hier passiert ist", wenn auch in Lächeln verpackt. Sarkasmus, dem die Kandidatinnen nicht gewachsen waren.

Wieder einmal zeigte sich der Kern von "Wer wird Millionär?": Ein schlagfertiger Moderator, der in guten Momenten mit dem richtigen Gegenüber sich selbst und andere bestens unterhält, aber keine Anstalten macht, mit seiner Überlegenheit hinterm Berg zu halten. Damit müssen Sie rechnen. Daran ändert auch Weihnachten nichts.

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