TV: "Deutschland sucht den Superstar":Bohlen und Spiele

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In anderen Ländern sind die Variationen von DSDS ernstzunehmende Wettbewerbe. Doch in Deutschland macht Dieter Bohlen daraus ein Comedy-Format mit Kandidaten-Bashing. Die Zuschauer wollen es so.

Jürgen Schmieder

Ein kleiner Junge, er muss zwischen sieben und neun Jahren alt sein, betritt den Raum. Er stellt sich auf einen Stern, der auf den Boden geklebt wurde. Er lächelt, seine Augen strahlen, er beginnt zu singen. Er hat sich "Let's get it on" von Marvin Gaye ausgesucht. Er singt, wie ein Achtjähriger eben "Let's get it on" singt.

Dieter Bohlen: lockere Sprüche beim Kandidaten-Bashing. (Foto: Foto: ddp)

Paula Abdul und Randy Jackson sind begeistert. Sie sind Juroren der Sendung "American Idol", dem amerikanischen Pendant zu "Deutschland sucht den Superstar". "Du bist so goldig", sagt Abdul. Der Junge strahlt so sehr, dass man glaubt, der Stern unter ihm würde gleich zu leuchten beginnen.

Nur Simon Cowell schüttelt schlecht gelaunt den Kopf: "Gefällt mir nicht!" Er schickt den kleinen Jungen weg. Der strahlt immer noch. Soll der mürrische Corwell doch sagen, was er will.

Als Juror in den britischen und amerikanischen Ausgaben der "Idol"-Serie ist Simon Cowell so etwas wie der angelsächsische Dieter Bohlen. Er sieht stets so mürrisch aus, als hätte man ihm sein Frühstücks-Müsli geklaut. Seine Urteile sind ebenso hart und an der Grenze zur Beleidigung wie die von Bohlen. Einem Kandidaten sagte er, dessen Stimme würde nur dazu taugen, Soldaten in Kriegsgebieten aufzuwecken. Zu einem anderen sagte er: "Nimm Dir einen Anwalt und verklag' Deinen Gesangslehrer." Einer Gruppe attestierte er: "Ihr klingt wie Stevie Wonder - mit einer schlimmen Grippe."

Klar, mag man nun denken, so funktioniert das Castingshowgeschäft nun mal. Wie es bei der "Popstars"-Serie einen Detlef geben muss, der Kandidaten zum Weinen bringt, muss in der "Idol"-Jury einer sitzen, der lockere Sprüche abledert und talentfreien Kandidaten erzählt, dass sie klingen, als würde man einen kastrierten Pudel mit Halsschlagaderzerrung in einen Toaster stecken.

Das öffentliche Bloßstellen ist Prinzip dieses Show-Formats, sonst wäre es langweilig. Bohlens Pendants bei der weltweiten Suche nach der gemeinsten Abfuhr sollen Kuba Wojewódzki (Polen), Zack Werner (Kanada) und Ian Dickson (Australien) sein. "Schließlich ist es eine Unterhaltungsshow", sagt Bohlen.

Damit verrät Bohlen - seine Stimme bei Modern Talking würde er wohl selbst mit einer Kastraten-Metapher abkanzeln -, was er für die Essenz der Show hält: Es geht nicht darum, ein Gesangstalent zu entdecken, einen Entertainer oder gar Superstar. Man will vielmehr die Menschen vor den Bildschirmen unterhalten mit einer Mischung aus Musikeinlagen, flippigen Sprüchen und Freakshow. Bohlen und Spiele.

Falls sich dabei ein Typ wie Mark Medlock findet, der sich vermarkten lässt und mehr als nur eine Single auf den Markt bringt, dann ist das ein schöner Nebeneffekt. Falls nicht, auch egal - die Show hat auch dann gute Einschaltquoten, wenn die Halbwertszeiten der Sieger (Alexander Klaws, Elli Erl und Tobi Regner aus den ersten drei Staffeln) kürzer sind als die des Perlens des Triumph-Champagners.

Hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen "Deutschland sucht den Superstar" und den weltweiten Variationen. "American Idol" etwa ist ein Wettbewerb, den Teilnehmer und Juroren in der Gewissheit durchführen, dass die Sieger nicht als Casting-Show-Gewinner abgestempelt werden, sondern als ernstzunehmende Künstler gelten. Untalentierte Bewerber werden zwar mit harschen Sprüchen aussortiert, es gibt aber keine amerikanischen Pendants zu Daniel Küblböck, Lorenzo Woodard oder Didi Knoblauch.

Andere Länder, andere Sieger

Seit Beginn der Show im Jahr 2001 schafften es "American Idol"-Künstler mit 64 Titeln in die Top 100 der amerikanischen Charts, sie gewannen insgesamt mehr als 50 Billboard Music Awards und 13 American Music Awards. Kelly Clarkson - Gewinnerin der ersten Staffel - gewann ebenso zwei Grammys wie die Siegerin der vierten Staffel, Carrie Underwood. Jennifer Hudson, Nummer sechs der dritten Staffel, gewann für ihre Rolle im Musical "Dreamgirls" einen Oscar.

Juror Simon Corwell geht mit den Bewerbern nicht zimperlich um. Seine Sprüche sind jedoch weniger flippig. "Ich bin nur ehrlich", sagt er. "Meine Urteile sind hart, aber gerecht." Und nicht garniert mit Metaphern und Vergleichen aus dem Handbuch für Proll-Sitcom-Autoren. Corwell sorgt mit seinen Jury-Kollegen dafür, dass sich unter den besten Zehn nur talentierte Künstler befinden.

In asiatischen "Idol"-Shows wird - wohl aus Respekt vor den Kandidaten - komplett auf das Heruntermachen von weniger begabten Teilnehmern verzichtet. Es gibt keine Dramatisierung durch eingespieltes Herzklopfen oder zusätzliches Verspotten durch eingeblendete Grafiken. Die Sieger der einzelnen Staffeln sind anerkannte Künstler, die sich über Jahre hinweg in den Charts halten. Ähnliches gilt für Südamerika und Skandinavien. Der Norweger Kurt Nilsen etwa bringt gerade sein siebtes Album seit seinem Sieg bei "Pop Idol Norway" heraus.

Nun kann man fragen, wer schuld daran ist, dass "Deutschland sucht den Superstar" fast ausschließlich erfolglose Musiker hervorbringt. Sind es die Sprüche von Dieter Bohlen? Gibt es zu wenig talentierte Kandidaten? Ist es die auf Unterhaltung und Freakshow abzielende Interpretation des Formats?

Es gibt im deutschen Fernsehen tatsächlich eine ernstzunehmende Castingshow, die gegenüber DSDS wirkt wie die New York Times im Vergleich zum Hollywood Reporter: Stefan Raabs "SSDSDSSWEMUGABRTLAD" - langweiliger zwar, dafür aber musikalisch wertvoller. Quotensieger bei diesem Vergleich ist freilich DSDS: Sechs Millionen (Finale 4. Staffel) gegen 670.000 Zuschauer (Raabs Finale) sprechen eine deutliche Sprache - und lassen einen anderen Schluss zu.

Schuld ist der deutsche Zuschauer, der keine seriöse Castingshow möchte. Der anderen Menschen kein Talent gönnt. Der Daniel Küblböck auf Platz drei wählt und Didi Knoblauch auf Platz fünf. Der Francisca Urio - eine Frau mit nachweislich guter Stimme - schnell per Telefon aus den Mottoshows wirft.

Deutschland sucht keinen Superstar, sondern Unterhaltung - durch untalentierte Freaks und gemeine Sprüche. Wir haben es nicht anders verdient, weil wir es nicht anders wollen.

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