Türkische Kulturszene:"Schwarze Propaganda"

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Weil er Erdoğan feierte, stürzte der Messechef die Contemporary Istanbul in eine Existenzkrise.

Von Ingo Arend

"Terroristen", "Desinformation", "Fake News" - es ging eine kleine Schockwelle durch die Kunstwelt, als Ali Güreli, Chef und Gründer der Istanbuler Kunstmesse Contemporary Istanbul (CI) Mitte Oktober einen geharnischten Rundbrief an seine Kunden und Freunde versandte. Der kunstsinnige Tourismusunternehmer klang plötzlich wie der Lautsprecher von Recep Tayyip Erdoğan. In martialischen Worten rechtfertigte Güreli die türkische Militäroffensive gegen das Nachbarland Syrien und warf den internationalen Medien "manipulative Nachrichten" und "schwarze Propaganda" vor. Die Aktion schade niemandem, sondern "neutralisiere" nur gewisse Elemente, die der Türkei schaden wollten.

Die 2006, in der Hochphase des "Cool Istanbul"-Booms gegründete Messe ist keine staatliche Einrichtung, auch wenn sie von staatlichen Stellen und der teilstaatlichen Fluggesellschaft Turkish Airlines gesponsort wird. Doch ohne Not nährte Gürelis überraschender, in der Geschichte der internationalen Kunstmessen vermutlich beispielloser Brandbrief nun den Eindruck, als handele es sich bei der CI um eine Vorfeldorganisation der Regierung.

Über diese Verbindungen wird seit Langem spekuliert. Ohne gute Beziehungen, etwa zur von der AKP kontrollierten Istanbuler Stadtverwaltung, könnte die Messe kaum in dem mondänen Lütfi-Kırdar-Kongresszentrum stattfinden.

Die Messe war eine der wenigen noch verbliebenen Plattformen für freie Geister in der Türkei

Als Missing Link zum AKP-Regime gilt Gürelis Wegbegleiter Hasan Bülent Kahraman, Mitglied im Exekutivkomitee und eine Art graue Eminenz der Messe. Der promovierte Politologe arbeitete in den Neunzigerjahren als Chefberater des türkischen Ministeriums für Kultur und Tourismus. Seit 2010 amtiert er als Vizerektor der Istanbuler Kadir-Has-Universität. Er leitet dort das Institut für Kommunikationsdesign. Lange schrieb Kahraman eine Kolumne in der regierungsnahen Zeitung Sabah. Ein Foto aus dem Herbst 2018 zeigt ihn beim Händedruck mit dem Staatspräsidenten in dessen Palast in Ankara. Seit ein paar Jahren versucht sich der Sozialwissenschaftler auch als Kurator.

Der bizarre Vorgang zeigt: So friedliebend, völkerverbindend und (regierungs-)kritisch sich Teile der säkularen Istanbuler Kunst- und Kulturelite geben, so sehr haben auch sie die Paradigmen der türkischen Staatsraison verinnerlicht: Nationalismus und demonstrative Distanz zu ethnischen Minderheiten wie den Kurden.

Dass sich Messe-Chef Güreli wenige Tage später in einer zweiten Mail für seinen Rundbrief entschuldigte, ohne sich aber von dessen Inhalt zu distanzieren, spricht dafür, dass Druck auf ihn ausgeübt wurde. Und es belegt sein unprofessionelles Agieren. Sein Satz "Kunst trägt uns über alle Grenzen" in dem zweiten Brief klingt wie unfreiwilliger Sarkasmus. Gürelis hemdsärmeliger Stil und das jährliche Auswechseln seines einflusslosen Messe-"Direktors" trägt ihm regelmäßig Spott ein.

Die Trump-reife Rochade in diesem Jahr hat die Messe in eine Existenzkrise gestürzt. Dass internationale Aushängeschilder wie Susanne van Hagen vom Freundeskreis des Pariser Palais de Tokyo oder ein renommierter Istanbuler Galerist wie Moiz Zilberman, Mitglieder im Advisory Board und im Auswahlkomitee der Messe, kein Interesse daran haben, sich für Kriegspropaganda in Haftung nehmen zu lassen, lässt sich daran sehen, dass das derzeitige Auswahlkomitee geschlossen seinen Rücktritt erklärte, gefolgt von der erst vor Kurzem berufenen Messedirektorin Anissa Touati, einer Kuratorin aus Paris. Güreli wird sich also kaum "einige Wochen" Zeit lassen können, die "Governance" seiner Messe zu "überdenken", wie er in seiner Mail schreibt.

Die CI mag klein und qualitativ durchwachsen sein. Angesichts des zunehmenden Drucks auf Kunst und Kultur in der Türkei ist sie in den letzten Jahren dennoch zu einer der wenigen Plattformen für freie Geister und modernen Lebensstil geworden. Der aktuelle Eklat hat grundsätzliche Bedeutung. Am Beispiel eines selbsterklärten Kunstfreundes zeigt er, dass die Beschäftigung mit Kunst womöglich doch nicht zwingend pazifiziert. Die Krise ist außerdem ein Pendant der Auseinandersetzungen um die Rolle von Industriellen in der Kunstwelt, wie sie derzeit Museen und Biennalen in den USA umtreiben.

Stühlerücken, Beschwichtigungsrhetorik und halbgare Entschuldigungen werden am Bosporus nicht reichen, nötig ist ein Neuanfang. Es ist schwer vorstellbar, dass Künstler und Galeristen im nächsten Herbst noch einmal an einer Messe teilnehmen wollen, an deren Spitze ein Mann steht, der eine völkerrechtswidrige Invasion guthieß.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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