Ab 2. Januar ist die Fleetinsel weltbekannt. Dann fliehen Naomi Scott und Ella Balinska prügelnd und schießend aus dem "Marinehof" vor bösen Gangstern, während Kristen Stewart vom Dach alles fotografiert. Im neuesten Kino-Remake der "Drei Engel für Charlie"-Serie, das auch an ein paar Altbausammelstellen in Hamburg gedreht wurde, ist die Fleetinsel als Kulisse prominent im Bild und rechtfertigt damit mal wieder ihre Existenz als atmosphärisch bedeutende Kreativoase in Hamburgs Konsum- und Geschäftszentrum. Dabei war das Ende der Insel in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts schon besiegelt. Das Ensemble aus historischen Kontorhäusern mit Speichern zum Fleet sollte einem Riesenblock für Gewerbe und Hotels weichen und wurde nur durch den zähen Protest seiner Bewohner gerettet.
30 Jahre nach dem Kauf des Gründerzeitrestes unterhalb des Michels durch den Mäzen Hans Jochen Waitz und den Architekten Jan Störmer, mit dem der komplette Straßenzug als Kunst- und Kulturort erhalten wurde, ist sinnloser Abriss aber immer noch Thema am Ort. Allerdings nur in einer Ausstellung. Denn die Fleetinsel versammelt seit ihrer Rettung im Jahr 1989 einige von Hamburgs wichtigsten Galerien in Vorder- und Hinterhäusern. Und diese Kunstmarkt-Kollaboration veranstaltet seit den frühen Neunzigern alljährlich im Herbst einen Vernissage-Rundgang auf fünf Stockwerken, der zu den beständigsten Treffpunkten der norddeutschen Kunstszene gehört.
Weniger Hype, weniger Adabeis: In Hamburg ist man zäh der Kunst verpflichtet
In diesem Rahmen stellt Michaela Melián unter dem Titel "Dishammonia" bei Karin Guenther grafische Arbeiten zu bedrohten und bereits zerstörten Denkmalen der Moderne in Hamburg aus. Denn wichtige Identifikationspunkte der Stadt werden selbst dann herzlos abgerissen, wenn sie unter Schutz stehen und es alternative Nutzungskonzepte gibt. Das Hochhausensemble der City-Höfe, das gerade zerstört wird, findet sich auf Meliáns bedruckten Seidenschals und gewebten Gobelins ebenso wie das kürzlich abgerissene Deutschlandhaus, die verfallende Schilleroper und viele andere Architekturschätze, deren Behandlung die wahre Kulturlosigkeit der Stadtpolitik zeigt.
Deswegen ist dieser letzte Kunstort in der Neustadt, der noch lebendig Geschichte atmet, von so großer Anziehungskraft, dass sich trotz der jahrelangen Galerienflucht nach Berlin hier immer noch namhafte Adressen halten. Sogar von den Pionieren dieses Miniatur-Sohos neben einer orthopädischen Privatklinik sind noch einige am Ort. Jürgen Becker etwa, der nach dem mäzenatischen Kauf als einer der Ersten Räume in der Admiralitätsstraße anmietete, zeigt im Jubiläumsjahr Klaus Hartmanns rätselhafte Naturwunder in Öl. Paradiesvögel, Reiher, Krähen, aber auch Menschen mit rosa Sonnenschirmen bevölkern Hartmanns üppiges Arkadien, das in seiner Idylle so trügerisch wirkt, dass man überall den Jäger oder Ölbohrer sucht.
Die älteste Galerie am Ort, die schon vor dem Mieterkampf gegen die Planierraupen hier Ausstellungen zeigte, Holger Priess, präsentiert diesmal besonders Altverwurzeltes. Der Holzbildhauer Stephan Balkenhol, der in den Achtzigern auf der Fleetinsel ein Atelier hatte, dort einige Bewohner als Basreliefs porträtierte und bei (damals noch) Dörrie*Priess sowie im Veranstaltungsraum des Komplexes, dem "Westwerk", ausstellte, zeigt kleinformatige Tier-Mensch-Hybride: eine lächelnde Sphinx, einen Mann mit Möwe auf dem Kopf oder eine Frau im Tigermantel. Die 1973 gegründete Hamburger Produzentengalerie, die nach einigen Jahren hinter einem großen Schaufenster zum belebten Fleetmarkt (jetzt ein Coffeeshop) nun in einem rückwärtigen Speicherraum zwei große Säle bespielt, eröffnet ihre Herbstsaison dagegen mit einer themenlosen Sammelausstellung ihrer Künstlerliste. Ein Gewaltvideo mit prügelndem Paar von Bruce Nauman von 1986 neben einer "Streikdecke" von Franz Erhard Walther (1967), zwei Schwarze mit Turban und einem offenen Auge von Jonas Burgert und Papierschnitte von Ulla von Brandenburg, dazu unter anderem Picasso, Olaf Metzel und Thomas Schütte versammeln sich zu einem kleinen verkäuflichen Museumsangebot mit 16 unterschiedlichen Positionen.
Die größten Ausstellungsräume in dem dicht bebauten Ensemble, das auch die Kunstbuchhandlung Sautter + Lackmann, das Architekturbüro von Jan Störmer, Künstlerwohnungen, ein Tonstudio, Restaurants, ein Theater sowie einige Loftwohnungen beherbergt, bespielt Andrée Sfeir-Semler. Die libanesische Galeristin, die alle Stars des gerade politisch so aufgewühlten Landes vertritt, zeigt diesmal den japanischen Bildromantiker Hiroyuki Masuyama. Inspiriert von der emphatischen Landschaftsmalerei von William Turner und Caspar David Friedrich entwickelt er Fotoarbeiten aus Vielfachbelichtungen von Hamburger Stadtmotiven sowie sehr filigrane Schattenumrisszeichnungen von Pflanzen in Bewegung. Eine heute eher seltene Huldigung an die pure "Schönheit".
Noch mehr Landschaft versammelt die Galerie Conradi mit den Schwarz-Weiß-Fotografien Philip Gaissers von Goldminen und Golfplätzen als Gesellschaftsmetapher. Es gibt aber auch eine Studentengalerie mit Bierbar an den engen Treppenhäusern des Speicherkomplexes. Die Hochschule für Künste im Sozialen aus Ottersberg unterhält hier den kleinen Projektraum "Level One", in dem diesmal eine besondere "Blutsbrüderschaft" aus Hermann Nitsch und tätowiertem Sex dokumentiert wird. Gina Schütze und Steffen Gehrdau machen auf den Fotos blutverschmiert Liebe und erwecken dabei den Eindruck, ihre Leidenschaft sei weniger entfremdet von der Welt, wenn sie sich mit Nadeln, Scheren und Hautschreibgeräten weh tun. Dieser Selbstverletzungsspaß ist der maximale Kontrast zu den monochromen Farbfeldobjekten von Alfons Lachauer bei Mathias Güntner, mit denen dieser Galerienrundgang seinen kontemplativen Abschluss findet - bevor in der Traditionsgaststätte im Keller des Ensembles, dem Rialto, dann zünftig ausgefeiert wird.
Die Popularität des Teenie-Kinos erreicht diese Ansicht der Fleetinsel sicherlich nicht. Auch nicht die Massenbewegungen der jüngeren Variante eines Galerienrundgangs in Berlin, wo das Gallery Weekend seit 2005 zu einem Termin für den internationalen Sammlermarkt reifte. Die schöne Tradition auf Hamburgs Galerieninsel ist dafür intimer, mit weniger Hype und weniger Adabeis zäh der Kunst verpflichtet. Hanseatisch ernsthaft eben. Für den Glamour müssen andere sorgen. Notfalls mit Schießeisen.