Trauerfeier in Bayreuth:Die Sitzordnung als Schicksalsdrama

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Ausgerechnet auf Wolfgang Wagners Trauerfeier zeigt sich die Zerrissenheit der weitverzweigten Familie. Grund für den Streit: die Sitzordnung in Bayreuth.

Helmut Mauró

Die Stadt Bayreuth lag an diesem viel zu kalten, von Schneegestöber durchwehten April-Sonntag da, als ginge sie das alles nichts an. Die Häuserfassaden: unspektakulär graubraun oder provinziell herausgeputzt. Der Himmel: unscheinbar grau. Die Bayreuther: seltsam unbeteiligt.

Weit mehr als 1000 geladene Gäste aber waren auf den Grünen Hügel gekommen, um in einer vornehmlich musikalischen Trauerfeier des am 21. März 90-jährig verstorbenen Wagner-Enkels und jahrzehntelangen Chefs der Bayreuther Festspiele, Wolfgang Wagner, zu gedenken. Allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, Kultusminister Wolfgang Heubisch und Kulturstaatsminister Bernd Neumann, sowie der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Am Weg hinauf zum Grünen Hügel und natürlich vor dem Theater selber stehen dann doch viele Bayreuther, um von ihrem Festspiel-Padrone Abschied zu nehmen. Denn das gibt es auch in Franken nicht an jeder Ecke: Einen Mann von Weltgeltung, der auch mit den Großkopferten im Dialekt des örtlichen Metzgers sprach und noch im hohen Alter so wirkte, als würde er gleich hinter die Bühne gehen, um mit anzupacken.

Auf einer Großleinwand können sie das Geschehen mitverfolgen, denn natürlich konnte im Festspielhaus trotz anderweitiger Verlautbarungen nur Platz für geladene Gäste sein, darunter Edmund Stoiber und Frau, Klaus von Dohnanyi, der Intendant der Bayerischen Staatsoper Nikolaus Bachler, Direktor der Wiener Staatsoper Ioan Holender, natürlich Künstler wie Rosalie, Dieter Dorn, Tankred Dorst, zudem Abgeordnete und andere Mandatsträger, Freunde, "Mitarbeiter und Weggefährten", wie es immer heißt, wenn man nicht so genau weiß, in welchem äußeren und inneren Verhältnis Trauernder und Toter standen.

Die Bayreuther schauen die Prominenten an, als wollten sie ihnen eine persönliche Botschaft mitgeben. Nicht, als neideten sie ihnen die Platzkarte für das festliche Trauerkonzert. Dabei gäbe es dafür Grund genug. Wagnerklänge mit Bodenhaftung, mit konkreter Funktion gar - wann gab es die zuletzt in Bayreuth? Als die Bundeskanzlerin, Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier den Raum betreten, erhebt sich das Publikum schweigend, wie es den ganzen Abend schweigend begleitet.

Gottfried Wagner, der wegen seiner Nazi-Vorwürfe vor Jahrzehnten Verstoßene, war nicht erschienen. Die Einladung sei ihm viel zu spät, nur wenige Tage vor der Feier zugegangen. Man habe ihm auch einen Abschied vom Vater verwehrt, den man offenbar baldmöglichst eingeäschert habe.

Im übrigen hält er das musikalische Programm der Trauerfeier mit Werken von Wagner und Felix Mendelssohn Bartholdy für unangebracht: "Im Bayreuther Festspielhaus ist noch lange nicht die Zeit angebrochen, um die Werke von Richard Wagner und Felix Mendelssohn in 'opportuner' Abfolge zusammen aufzuführen. Wer sich mit der Wirkungsgeschichte der Weltanschauung Richard Wagners in Bayreuth von 1872 bis heute, und insbesondere im Dritten Reich, kritisch befasst, wird erkennen müssen, dass auch Neu Bayreuth eine ehrliche Aufarbeitung der eigenen Geschichte - vor allem den Antisemitismus von Wagner zu Hitler - bis heute nicht geleistet hat."

Nike Wagner, die Nichte Wolfgang Wagners, Tochter seines Bruders Wieland Wagner, hatten gemeinsam mit ihren Geschwistern Iris, Wolf Siegfried und Daphne ebenfalls eine Erklärung veröffentlicht. Es sei guter Brauch in der Familie Wagner, nach Todesfällen eng zusammenzurücken, heißt es da: "Wir, die Nachkommen von Wieland Wagner und unser Vetter Gottfried Wagner, wollten diese Tradition aufrechterhalten und baten die Festspielleitung bei der Trauerfeier für Wolfgang Wagner um ein Placement, das diesen Zusammenhalt nach außen zeigt."

Da diese Bitte leider "abschlägig beschieden" worden sei, sagten sie ihre Teilnahme ab, "um nicht das Bild von Zerrissenheit in die Öffentlichkeit zu tragen". Zerrissener aber kann man sich kaum darstellen. Die einen sind da und regieren, die anderen sind nicht da und geben Presseerklärungen ab.

Die Sitzordnung ist in Bayreuth so symbolgeladen wie die Sargträgerformation im Kreml. Der Sprecher der Bayreuther Festspiele, Peter Emmerich, widersprach denn auch vehement. Den Familienmitgliedern seien Plätze in der Mittelloge angeboten worden. "Das sind sehr prominente Plätze." Sie hätten aber lieber neben den Töchtern Wolfgang Wagners, den Festspielleiterinnen Katharina Wagner und ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier, in der ersten Reihe sitzen wollen - wie Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Seehofer.

Das Programm der Trauerfeier entsprach, so heißt es, der Verfügung des Toten. Und so dirigierte Christian Thielemann Festspielorchester und Chor mit dem Vorspiel zu "Lohengrin", "Siegfrieds Rheinfahrt" aus der "Götterdämmerung" und Felix Mendelssohn-Bartholdys Motette "Denn er hat seinen Engeln befohlen", mit der Wolfgang Wagner selbst - oder die Festspielleitung? - ein Zeichen setzt, was die antichauvinistische Grundhaltung betrifft.

Die ungeschickteste Trauerrede unterlief dem Bayreuther Bürgermeister Michael Hohl, der die Verdienste Wolfgang Wagners so kleinlich auflistete, als sei der Oberförster gestorben und nicht "eine Instanz des Welttheaterwesens". Er erwies allerdings seine Kondolenz auch den Kindern und bezog Gottfried Wagner ausdrücklich mit ein.

Erst in den letzten beiden Jahren sah man ihn als gebrechlichen alten Mann, und seine Familien- und Festivalpolitik provozierte viele, auch eine gehörige Portion Altersstarrsinn im alten Wolfgang Wagner zu sehen. Die Menschen hier in Bayreuth sehen das anders.

Viele hier haben direkt oder indirekt mit ihm zu tun gehabt. Mit dem Komponisten-Enkel, dem Festival-Chef, dem väterlich wohlwollenden Arbeitgeber, dem bewunderten und - bei aller zur Schau getragenen Bodenständigkeit - für hiesige Verhältnisse geradezu glamourösen Patriarchen. Für sie ist die Familie Wagner ein hochrespektabler Clan, dessen Wirken von Anbeginn, seit dem Bau des Festspielhauses, aus dem im europäischen Zusammenhang kaum noch bedeutenden Markgrafenstädtchen wieder eine international bedeutende Stadt gemacht hat.

Es war eine seltsame Mischung aus Professionalität und Betroffenheit, die später den Freund und Medizin-Dekan der Leipziger Universität Joachim Thiery, aber selbst Ministerpräsident Horst Seehofer dazu bewog, auch ganz persönliche Eindrücke und beizusteuern. Wie sich Wolfgang Wagner einst nach seiner Gastregie mit den Meistersingern im Hotel mit der DDR-Obrigkeit anlegte, immer wieder Künstler und Techniker aus dem Osten holte, lange bevor die Mauer fiel. Auch Dirigent Christian Thielemann ließ es sich nicht nehmen, persönlich darüber zu berichten, wie genau Wolfgang Wagner über die Werke des Großvaters, ihre musikalische wie bühnentheatralische Gestaltung Bescheid wusste.

Bescheidener Blumenschmuck am Bühnenrand, ein überlebensgroßes Schwarz-weiß-Porträt im Hintergrund, davor das Festspielorchester, das Thielemann geradezu mit Inbrunst dirigierte, bis am Ende nach dem Meistersinger-Vorspiel der Festchor a capella, instrumentlos, stimmlich nackt, unmittelbar menschlich, alles beendet. Echte Freunde machen keinen Lärm, auch wenn sich Thielemann ins Zeug legt, als gelte es, durch die Musik all das zu sagen, wozu die Vorredner nicht in der Lage waren.

© SZ vom 12.04.2010/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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