Tradition:Neues aus der Mottenkiste

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Die Couplet AG hat eine CD mit fast schon vergessenen Liedern des Münchner Volkssängers Karl Valentin aufgenommen

Von Wolfgang Görl, München

Kurzes Quiz für die Freunde bayerischer Literatur: Von wem stammen folgende Verse? "Und ganz München ist empört / Wie die Münchnerstadt zerstört. / D'Sauferei hat nun ein Ende, / Spuckts jetzt fleißig in die Hände. / Nehmts die Schaufel in die Hand: / Jetzt geht's los am Isarstrand."

Man muss sich schon gut auskennen, um die richtige Antwort parat zu haben. Karl Valentin hat die Zeilen geschrieben, 1947, als München in Trümmern lag. Es ist Valentins letztes Couplet, und sein Aufruf, in die Hände zu spucken und die Stadt wiederaufzubauen, wirkt im Kontext der übrigen, teils nostalgisch, teils düster intonierten Strophen wie der matte Versuch eines Verzweifelten, sich selbst Mut zu machen.

Valentins Münchner Wohnung war im April 1944 zerbombt worden, er hatte sich in sein Häusl nahe der Würm in Planegg zurückgezogen, wo er nach dem Krieg in elenden Verhältnissen hauste und vergeblich an die alten Erfolge anzuknüpfen versuchte. In dieser Misere erinnert er sich an ein altes Wienerlied, zu dessen Melodie er um 1920 erstmals einen eigenen Text geschrieben hat, den er immer wieder mal bearbeitete und aktualisierte. 1947 also nimmt er sich abermals das Couplet vor, die neue Variante trägt den Titel "Mein München". Aber dieses München, das er so geliebt hat, gibt es nicht mehr. Vorbei die gute alte Zeit, und die Gegenwart ist trostlos. Man spürt, dass Karl Valentin resigniert hat. Schön, schreibt er, werden es erst wieder "unsere Kindeskinderkinder" haben.

Nie gehört? Ein Wunder wäre dies nicht. Die meisten der rund 115 Lieder und Couplets, die Valentin verfasst hat (da und dort dürfte auch Liesl Karlstadt mitgewirkt haben), sind heute vergessen, selbst einstige Gassenhauer wie die "Altn Rittersleut" oder das "Rezept zum russischen Salat" hört man nur noch selten. Das ist schade, denn auch als Liedtexter war Valentin saukomisch, ein Virtuose des Absurden wie in seinen aberwitzigen Dialogen. In der neunbändigen Werkausgabe des Piper-Verlags kann man die Texte nachlesen, aber das ist nur der halbe Spaß. Besser ist es, die Couplets zu hören - und da kommt jetzt die "Couplet AG" ins Spiel. Die Kabarettgruppe um Jürgen Kirner hat soeben eine CD herausgebracht, auf der 21 mehr oder weniger vergessene Lieder aus Valentins Nachlass verewigt sind.

Wie es dazu kam? Die CD, erzählt Kirner, ist gleichsam eine Frucht seiner "langjährigen und tiefen Freundschaft" zu Anneliese Kühn, der Enkelin Valentins, die im August 2014 gestorben ist. Rund drei Jahre vor ihrem Tod hat sie Kirner gebeten, die Couplet AG möge sich der Lieder "vom Opa" annehmen, damit sie nicht vergessen würden. Nach einigem Zögern hat sich das Quartett an die Arbeit gemacht - eine schwierige Aufgabe, denn Valentin hat keine Noten aufgeschrieben. In nicht wenigen Fällen hat er seinerzeit populäre Melodien mit neuen Texten versehen, so wie es viele seiner Volkssängerkollegen praktizierten. Gelegentlich finden sich in seinen Manuskripten Hinweise auf diese Vorlagen. Mit diesen musikalischen Seiten des Projekts musste sich zuvorderst Bernhard Gruber herumschlagen, der Komponist und Quetschnspieler der Couplet AG. Gruber hat sich dabei einige Freiheiten genommen: Wo er es für geboten hielt, hat er Valentins Liedtexte neu vertont, bei anderen hat er die Originalmelodie beibehalten und sie im Stil der Couplet AG arrangiert.

Bei Karl Valentin, seien es nun seine Bühnenstücke, Dialoge oder Couplets, hat der Interpret immer ein Problem: Wer das Original kennt, kommt nicht davon los. Valentin, der ein guter Musiker war und zig Instrumente spielte, mimte als Sänger gerne den Dilettanten, der den größten Nonsens gänzlich unangemessen mit triefendem Pathos vortrug. So entsteht Komik, und diesen gewollt linkischen Gesang hat man bis heute im Ohr. Doch wehe dem Künstler, der diesen Ton zu imitieren versucht! Das Scheitern ist so gut wie sicher, und dann wird es peinlich. Diesen Abgrund haben Kirner & Co klugerweise umgangen.

Wenn die wie immer hinreißende Bianca Bachmann beispielsweise das "Chinesische Couplet" singt, versucht sie erst gar nicht, so wie Liesl Karlstadt zu klingen. Nein, sie singt schnörkellos und beinahe nüchtern zur sparsamen Gitarrenbegleitung, ganz auf die Wirkung des virtuos-albernen Gaga- (oder auch Dada-) Textes vertrauend: "Ziggi zam ziggi zam tschin tschin wuggi gu." Wunderbar.

Kirner, Gruber, Bachmann und der Gitarrist Berni Filser haben auch der Versuchung widerstanden, die Texte in ein modernes musikalisches Gewand zu stecken, also sie etwa mit Elektropop-Sound oder Tradimix-Klängen zu unterlegen. Das könnte man probieren, das könnte aber auch schwer in die Hose gehen. Stattdessen hat die Couplet AG die Stücke in der Art der alten Münchner Volkssänger arrangiert, mit Gitarre, Tuba, diatonischer Ziehharmonika und dergleichen. Da gibt es nichts zu meckern: Valentin entstammt der Volkssängerkultur, auf ihrem Boden ist er zu einem Künstler der literarischen Moderne geworden. Gerade bei seinen Couplets ist nicht zu überhören, dass sie für Wirtshausbühnen geschrieben sind - ein Terrain, auf dem sich auch die Couplet AG gut auskennt. Wer die CD hört, unternimmt quasi eine Zeitreise durch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und durch Valentins Leben. Im allgemeinen Bewusstsein gilt Karl Valentin ja als Virtuose der zeitlosen Blödelei. Tatsächlich aber spiegeln sich in seinen Liedern auch die historischen Ereignisse, die beiden Kriege, die Hungersnöte, das Tempo der modernen Großstadt, die Mode, der Autoverkehr, die Selbstoptimierung per Sport. Den Irrsinn seiner Zeit besingt Valentin als groteske Moritat. Im "Klagelied und Abschied vom Zinndeckel" (1916/17) schildert er mit bitterem Witz die Zumutung, während des Ersten Weltkriegs Metall für die Rüstungsindustrie spenden zu müssen, und 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, schreibt er: "Wenn ich einmal der Herrgott wär' / Mein erstes wäre das, / Ich schüfe alle Kriege ab, / Vorbei wär' Streit und Hass."

Oje, das klingt jetzt nach ernstem Stoff, aber so ist es beileibe nicht. Das Tolle bei Valentin ist ja, dass er die großen und kleinen Unannehmlichkeiten des Lebens ins Komische zu drehen vermag. Man muss einfach lachen, es geht gar nicht anders, und die Couplet AG hat schon ein paar Kästen Freibier verdient, weil sie Valentins Lieder wieder aus der Mottenkiste geholt hat, in der sie unverdienterweise lagen. Die Welt wäre ärmer, würde ein Couplet wie "Der Mord in der Eisdiele" für immer in der Versenkung verschwinden. Das tragische Ende der Köchin Annemarie ist einfach zu schön: "Dort hat sie sich vergessen, / Hat so viel Eis gefressen, / Dass sie daran erfroren ist, / das war des Mörders List."

Couplet AG: Neues vom Valentin. Ungehörte Couplets und Lieder ; CD, Kudernak-Records

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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