Tollwood:Männchen machen

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Zwischen Bedrohung und Vertrauen: Die Akrobatiktruppe "Un loup pour l'homme" auf dem Tollwood. (Foto: Milan Szypura)

Die Akrobatikshow "Face Nord"

Von Petra Hallmayer, München

"Aua!", ruft eine Zuschauerin, als ein Kerl einen anderen mit einem Kopfstoß in die Brust durch die Luft fliegen lässt und dieser mit einem lauten Knall auf dem Boden aufschlägt. Die Männer in der Manege des Tollwood-Theaterzeltes gehen nicht zimperlich miteinander um. Schon der Name der französischen Compagnie "Un loup pour l'homme", der Plautus' Satz über die menschliche Wolfsnatur zitiert, klingt ein wenig beängstigend. Tatsächlich jedoch ist die Akrobatikshow "Face Nord" keineswegs martialisch, sondern eine sehr liebenswerte, verspielte pomp- und glitzerfreie Performance, verblüffend schlicht und zugleich raffiniert, ruppig rau und poetisch zart, lebensklug und kindlich übermütig komisch. Dafür benötigen die vier Artisten aus Frankreich und Kanada nichts als ihre Körper, die sie wechselseitig erklimmen, wobei sie mit fakirhafter Schmerzignoranz hypersensible Stellen zu Trittbrettern machen.

Sie bilden bizarre Pyramiden, wie ein seltsames Insekt krabbelt einer rückwärts über drei verschlungene Leiber, innige Umarmungen münden in Ringkämpfe, sie raufen, kuscheln, knuffen, messen und jagen sich. Sicherlich, Menschen, insbesondere Männer, sind für einander die ärgsten Feinde und Konkurrenten, aber ohne einander sind sie nichts. Wie sehr sie sich brauchen, demonstriert das Quartett durch eine imaginäre Bergbesteigung auf der Bodenmatte, bei der es sich in skurrilen Gänsemarschschritten durch gefährliches Gelände vorwärtstastet. Unspektakuläre narrative Passagen reihen sich ein zwischen Kraftakte, bei denen die immense physische Anstrengung sichtbar wird, Schweißtropfen regenschauerdicht auf die Matte fallen. Machomäßige Wettkämpfe gehen fließend über in grazile Bewegungen und betörend schöne Körperbilder, wenn etwa die Akteure sich an den Händen fassend ein sich drehendes Halbrad zeichnen.

Ihren unwiderstehlichen Charme aber gewinnt die Männer-Show durch selbstironischen Witz. Aufmanndeleien lösen sich in herrlich alberne Tollereien auf. Der Kleinste in der Runde foppt einen Großen, der ihm mit aller Wucht in die Arme springt. In einem Hasch-mich-Spiel, einer Blinde-Kuh-Variation, mutieren die Abgeklatschten zu mähenden Schafen, und wie da ein Hüne mit mädchenhaften Hüftwendungen seinem Verfolger entschlüpft, das ist köstlich. Zumal wenn, wie bei der Premiere, ein Kind im Publikum sitzt, das so hingerissen kräht und kichert, dass es für alle kommenden Vorstellungen Freikarten verdient hätte.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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