Tier werden:Einen Vogel haben hilft

Lesezeit: 2 min

Teresa Präauer (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Teresa Präauer ist derzeit Samuel-Fischer- Gastprofessorin an der FU Berlin. Sie beschäftigt sich mit dem Flugwesen und kennt gute Gründe für einen Lehrstuhl "poetische Ornithologie".

Von Jutta Person

"Als Naturforscherin, auch als poetische, sollte man immer mit einem Camouflage-Rucksack unterwegs sein", sagt Teresa Präauer bei ihrer Antrittsvorlesung am Mittwochabend und zieht Bücher aus einem Tarnbeutel. Sie weist darauf hin, dass Tiere, insbesondere Vögel, schon mehrfach prominent aufgetreten sind in ihrem literarisch-zeichnerischen Werk, angefangen bei den illustrierten "Taubenbriefen von Stummen an anderer Vögel Küken" bis zum Debütroman "Für den Herrscher aus Übersee", in dem eine Fliegerin einem Vogelschwarm folgt. Camouflage ist aber auch deshalb ein gutes Stichwort, weil Anpirschen, Anverwandeln und Beutemachen - die Theorie der Mimikry - zum Kernstück ihres Vortrags gehören. Der trägt den traditionsreichen Titel "Tier werden" und erkundet, wie Fiktionalisierung und Animalisierung zusammenhängen.

Teresa Präauer ist derzeit Samuel-Fischer-Gastprofessorin an der Freien Universität Berlin und hält in diesem Sommersemester das Seminar "Poetische Ornithologie. Zum Flugwesen in der Literatur". Die österreichische Schriftstellerin und bildende Künstlerin, Jahrgang 1979, zuletzt mehrfach ausgezeichnet für ihren Künstlerroman "Johnny und Jean", plane die Gründung eines Lehrstuhls für Poetische Ornithologie, vermerkt das Peter-Szondi-Institut der FU in seiner Ankündigung knapp; Präauer bestätigt das in perfekt ironisch-ernster Balance. Angesichts des Booms, den das angelsächsische nature writing seit einigen Jahren verzeichnet, wäre so eine Institution keine abwegige Idee.

"Die Harpyie bleibt im Übergang, sie entscheidet sich nicht."

Präauers Thesen haben eine historisch-naturkundliche Basis: An einer Harpyie des Kupferstechers Matthäus Merian, Mitte des 17. Jahrhunderts in John Johnstons "Historia Naturalis" veröffentlicht, erklärt sie, wie die Naturforscher der Frühen Neuzeit Erfundenes und Gefundenes, Mythologie und Natur, Fiktion und Realität zusammenbrachten. Der fabelhafte Greifvogel mit Frauengesicht und -frisur findet sich in einer Tierkunde, die restlos alles über die Fauna versammeln will. Rund hundert Jahre später regiert dagegen die Reduktion: Carl von Linnés Taxonomie trennt das Faktische vom Fiktiven und stellt eine neue Ordnung her - Harpyien müssen draußen bleiben.

Für die Schriftstellerin ist das Mischwesen mit den Vogelkrallen und der Lockenpracht eine mythische Figur des Werdens: "Die Harpyie bleibt im Übergang, sie entscheidet sich nicht". Tier werden, das bedeute eben auch, kein Tier zu sein, sondern sich im Übergang zu befinden, und ähnliches gelte für die Literatur, "dieses Mischwesen, dessen wir nicht habhaft werden können". Präauer hält aber nicht nur das klassische Plädoyer für die Mehrdeutigkeit literarischer Texte; sie performt vielmehr, wie offene Grenzen zwischen Authentischem und Erfundenem live und in Farbe aussehen können. Ihrem Vortrag ist ein mehrteiliges Outing eingebaut: "Ich bin froh, dass ich hier offen sprechen kann", bekennt ein Präauer-Ich und gesteht einen atavistischen Fortsatz der Wirbelsäule, also einen Tierschwanz. "Diese Deformation hat mich zum Schreiben gebracht", heißt es weiter, und das im Anschluss aufgelistete Röhren, Grunzen und Quieken erinnert stark an den Romanauszug, den die Schriftstellerin beim letztjährigen Bachmannwettbewerb vorgetragen hat (und der im Herbst mit dem Titel "Oh Schimmi" im Wallstein Verlag erscheint). Im äffischen U-U-U kommen die Vokale nackt und bloß zum Vorschein - und markieren die Mensch-Tier-Schnittstelle zwischen Laut und Wort. Womit man wieder bei der Theorie wäre.

Die notorischen "Tausend Plateaus" von Deleuze und Guattari, die das Tierwerden zur intellektuellen Mode machten, erwähnt Präauer nur am Rande; stärker zum Zuge kommen Jacques Derridas tierphilosophische Überlegungen zur Katze, die ihn im Badezimmer beobachtet und den nackten Philosophen beschämt. Die Blicke, die zwischen Mensch und Tier hin- und hergehen, besagen, dass man erst im Angeschautwerden zu überhaupt etwas wird. Affe werden, Vogel werden - oder auch: Zitrone werden, diesen Ausflug zur Künstlerin Maria Lassnig und ihrem "Selbstporträt als Zitrone" schiebt Präauer noch ein. Mit ihren "Ich als"-Formeln halte die Literatur eine "Zauberformel der Fiktionalisierung" bereit, mit der man alles anhauchen und verwandeln könne. Was, in puncto Mischwesen, natürlich auch andersrum funktioniert, also vom Tier zum Menschen.

In ihrem Beruf helfe es, einen Vogel zu haben, hatte die Schriftstellerin eingangs gesagt. Wir freuen uns auf Vögel mit Plateausohlen. Oder Schimpansen mit Tourette. Oder Erzählerinnen mit Wirbelsäulenfortsatz.

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: