Thriller:Die Vorzüge von Stacheldrahtherzen

Lesezeit: 3 min

Daddys Tochter wird souverän: Tess Sharpes Thriller "River of Violence".

Von Bernd Graff

Was zuerst? Die gute oder die schlechte Nachricht? Okay, die schlechte. Wenn man dem Debüt von Tess Sharpes "River of Violence" überhaupt etwas vorwerfen wollte, dann seinen deutschen Titel. Keine Ahnung, was dem Verlag über die Leber gelaufen sein muss, als er für das Original "Barbed Wire Heart" in der von Beate Schäfer betreuten Übersetzung die völlig überflüssige englische Neu-Titelei ersonnen hat. Dafür kann Tess Sharpe natürlich nichts. Aber es ist schon merkwürdig, dass für den deutschen Markt, ohne die Sprache zu wechseln, aus einem "Stacheldrahtherz" ein "Fluss der Gewalt" werden soll, was weder dem Originaltitel noch einer der beiden Sprachen irgendwie angemessen scheint.

Nun die gute Nachricht. Harley McKenna, die Heldin dieses Romans, trägt tatsächlich ein mit Dornen bewehrtes Stacheldrahtherz in sich. Es ist ebenso uneinnehmbar, wie es gefesselt ist. Harley ist die einzige Tochter einer einflussreichen Familie im Norden Kaliforniens, wobei der Einfluss hier aus dem brachial verfolgten Blutrecht des Stärkeren und einer rigoros ausgeübten Verfügungsgewalt hervorgeht. Harleys Vater Duke herrscht souverän über Northern County, weil er sein riesiges Drogen- und Schutzgeldgeschäft mörderischer, härter und skrupelloser betreibt als die Vertreter der fast ebenso mächtigen Springfield-Familie, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen werden, Duke und die Seinen aus dem Weg zu räumen. Harley ist acht Jahre alt, als sie mit ansehen muss, wie ihre Mutter in die Luft fliegt, ein paar Wochen später wird sie Zeugin, wie ihr "Daddy" einen wehrlosen Widersacher in der heimischen Scheune umbringt. Berichtet wird dieses und jedes der folgenden Gräuel aus Harleys lakonisch beschreibender Ich-Perspektive. Der Leser erlebt damit das wohl traurigste Coming of Age in der Geschichte des Thrillers.

Denn das Mädchen ist dafür bestimmt, Dukes fürchterliches Imperium zu übernehmen und dabei so vorzugehen wie ihr Vater, zu dem man als Leser nur ein höchst ambivalentes Verhältnis aufbauen möchte. Harleys Leben - im Hauptstrang der Geschichte ist sie 18 Jahre alt - wirkt zwar behütet, aber auch wie ein ins McKenna-Revier eingekerkerter Horrormix aus Teddybär-Verzweiflung, Teenager-Verwirrung und einer stoisch exekutierten Brutalität, wie man sie aus einschlägigen Serien kennt, aber nicht ausgeübt von einer so jungen Protagonistin: "Ich bin zwölf, als ich das erste Mal die Waffe auf jemanden richte! Mit 17 habe ich meine erste Leiche verschwinden lassen."

Die junge Frau verteidigt zuerst das krude Regime ihres Vaters

Doch Harley, und das macht Sharpes Roman erst lesenswert, ist eben weder nur die eiskalte Bad-Ass-Killerfrau noch eine hyperintelligente Psychopathin wie Stieg Larssons Lisbeth Salander. Harley findet ihren ganz eigenen Weg durch all die physischen und psychischen Extreme, die der schmutzige Job ihr erst einmal aufbürdet. Sagen wir so: Sie findet ihn nicht in aller Unschuld. Denn die junge Frau füllt zwar zuerst gehorsam (und kaltblütig) die für sie vorgesehene Rolle einer Kindersoldatin bei Ausbau, Ausbeutung und Verteidigung des kruden Regimes ihres Vaters.

Aber irgendwann schwant ihr, dass es mehr geben muss im Leben als die entstellten Leichen ermordeter Verwandter, die aus Rache zu Tode gebrachten Feinde und die väterlichen Redneck-Maximen: "Waffen wollen schießen. Achte also darauf, dass sie immer geladen sind! Die Familie bedeutet alles. Hintergehe sie - und stirb daran!" Harley will das dann alles nicht mehr. Sie erkennt ihre verzwickte Lage im Teufelskreis aus Schuld und Vergeltung und entwickelt ihren Plan, wie man das Übel an der Wurzel bekämpft. Und diesen Plan setzt sie so geradlinig und so beinhart um, wie sie es in der toughen Schule ihres kurzen bisherigen Lebens gelernt hat.

Der Weg dorthin kommt einer Häutung, einer Läuterung gleich. Mehr und mehr fördert Harleys Erinnerung, fast wie in einer psychologischen Anamnese, Wegmarken der eigenen Ichwerdung zutage: "Meine Kindheit, das waren nicht Fahrräder und Schwimm-Parties, das waren Vollmantelgeschosse und das verkrustete Blut anderer Männer unter den Fingernägeln meines Vaters."

Doch sie entdeckt, dass es sich lohnt, anderen Menschen zu helfen, die Fähigkeiten und Mittel, die man so mitbekommen hat, auch zum Wohle derjenigen einzusetzen, die der eigene Terror zu Opfern gemacht hat. Deshalb wird aus Dukes County noch kein Ponyhof, schon klar, und es macht aus Harley natürlich auch keine Heilige. Aber es macht sie zu einer Frau, die trotz ihrer Vergangenheit nun bewusst das tut und lässt, was sie für richtig hält. "Ich stelle ihn mir vor, meinen Daddy. Einen Mann mit Blut an den Händen und einem finsteren Herzen. Er hat mich geliebt. Er hat mich terrorisiert. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin." Kurz darauf fliegt ein Haus in die Luft.

Wenn man so will, ist Tess Sharpes Thriller ein feministischer Roman. Nicht, weil er eine Protagonistin hat. Sondern, weil er eine souveräne, eine sich selbst ermächtigende Protagonistin hat.

© SZ vom 18.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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