Therapiegruppe für RAF-Terroristen:Endlos im Käfig einer Zwischenzeit

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Ehemalige Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni haben nach ihrer Haft sieben Jahre lang eine Therapiegruppe besucht - und jetzt darüber geschrieben.

Alex Rühle

Wie schwer das ganze Projekt anlief, wie vergiftet die Atmosphäre über Jahre hin gewesen sein muss, kann man schon daraus ersehen, dass acht Therapeuten im Lauf der Zeit wieder abgesprungen sind.

"Gefühl des Erstickens" im Gefängnis - "erstmal Wüste" nach dem Knast (Foto: Foto:)

Acht versierte Psychologen haben das Weite gesucht - beeindruckend, was für eine schwarze Strahlkraft die RAF noch Jahre nach ihrer Auflösung auf alle zu haben scheint, die auch nur in ihre Nähe kamen.

Über sieben Jahre hinweg, von 1996 bis 2003, trafen sich Therapeuten und Analytiker mit ehemaligen Mitgliedern der RAF, der Bewegung 2. Juni und der Unterstützer-Szene zu Gesprächswochenenden. Darunter waren Knut Folkerts, der an der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback beteiligt war, und Karl-Heinz Dellwo, der die Geiselnahme in der deutschen Botschaft von Stockholm mitorganisiert hatte.

Keine Pamphlete, kein soziomarxistisches Sperrholzdeutsch

Dieser Tage nun erscheint ein Buch, in dem die Teilnehmer dieser Wochenenden die sieben Jahre in Erinnerungstexten reflektieren, ein Buch, das einen beim Lesen überrascht, ja überrumpelt ("Nach dem bewaffneten Kampf ", Psychosozial-Verlag Gießen, 224 Seiten, 29,90 Euro).

Keine Pamphlete. Keine Rechthaberei. Kein soziomarxistisches Sperrholzdeutsch, kein Aufrechnen. Nie hat man den Eindruck, diese Resümees seien als apologetisch auftrumpfende Texte geschrieben, eher klingen sie wie dunkle Echos der sieben Jahre Arbeit im Bergwerk Erinnerung.

"Während ich die Texte durchlas, merkte ich, fast gegen meinen Willen, wie sehr komplexe Trauerprozesse im Mittelpunkt dieses Buches stehen", schreibt David Becker im Vorwort.

Becker hatte 1996 in Hamburg einen Vortrag über Verfolgung in Chile gehalten und sich gewundert, als er hinterher von RAF-Sympathisanten und Ex-Häftlingen im Publikum bedrängt wurde, Parallelen zu ziehen zwischen ihrem Schicksal und dem der politischen Gefangenen in Chile.

Entlassene wie uralt überlebte Echsen

Becker empörte sich, er konnte keine Gemeinsamkeiten sehen zwischen rechtmäßig verurteilten Terroristen und unschuldig einsitzenden Regimekritikern in Pinochets Kerkern. Und doch entstand, wenn auch ohne Beckers Beteiligung, aus dieser Begegnung am Ende die Gesprächsgruppe.

Volker Friedrich, einer der beiden Therapeuten, die bis zuletzt blieben, erinnert sich an die erste Sitzung: "Die meisten waren frisch aus der Haft entlassen, oft nach über 12 bis 21 Jahren. Sie sahen elend aus, leidend, rauchten ununterbrochen, sie gingen sich gegenseitig aus dem Weg oder hingen eng zusammen."

Knut Folkerts vergleicht das erste Treffen mit der Situation "in einem Tigerkäfig. Die unbesprochenen Widersprüche aus 20 Jahren waren explodiert und lagen als Trümmer zwischen uns." Von "schweren Charakterpanzerungen" spricht Friedrich: man stellt sich die Entlassenen wie uralt überlebte Echsen vor, dabei sind sie ja alle heute erst zwischen Mitte 40 und Ende 50.

Aus all den Beschreibungen der Anfangszeit steigt die Angst auf wie ein unsichtbarer Geruch, die Angst, vernichtet zu werden von den anderen, sobald man sich aus der Deckung des Schweigens traut. Es wirkt, als habe sich an der ganzen Gruppe ein sadistisches Überich ausgetobt.

Wie ein Astronaut

Jene acht Therapeuten gaben im Verlauf der Arbeit auf, "wohl deshalb, weil sie die scheinbare Leere der Beziehungen zwischen den Teilnehmern nicht ertragen konnten", vermutet Friedrich. Nie zuvor, so Angelika Holderberg, die andere Therapeutin, die bis zuletzt aushielt, "nie zuvor habe ich in einer Gruppe so viel gegenseitige Entwertung erlebt."

Das überrascht, man stellt sich die RAF ja als kompakt homogene Gruppe vor, vereint im Kampf, vereint im Veteranendasein; noch 1993 raunte Generalbundesanwalt Kurt Rebmann vom "Monolithen RAF". Das Gegenteil trifft zu, sie alle sind allein. Karl-Heinz Dellwo erklärt bei einem der ersten Treffen, es habe in der RAF keine Freundschaften gegeben. Im Leben nach der RAF erst recht nicht.

Dellwo sagt, selbst 30 Jahre nach der Geiselnahme von Stockholm hätten die Überlebenden nicht ein Mal zusammen darüber gesprochen. "Als würde sich mit dem Ansprechen die eigene Welt auflösen. Als wären wir endlos in diesem Käfig einer Zwischenzeit gefangen."

Dellwo hat den klügsten, den einsichtigsten Text geschrieben. "Im Gefängnis schien mir meine Situation mit der eines Astronauten vergleichbar zu sein. Der Hochsicherheitstrakt eine Raumstation, die um die Erde kreist, technische Verbindungen zur Außenwelt und Kontakt wie hin und wieder Funkverkehr.

Vom Alltag abgelöst ein Blick aufs Ganze. So war die RAF auch: Sicht aus weiter Ferne." Was hier nach literarischen Metapher klingt, wird zum Leitmotiv des ganzen Buches, die Isolation an einem extraterrestrisch fernen Ort.

Die Opfer bleiben namenlos

Ursprünglich wollten sie in der Gruppe über sich als traumatisierte Opfer des Staates oder des Systems sprechen. Stattdessen machten sie Kassensturz: Dass die erste Generation, wie Gabriele Rollnik es ausdrückt, "noch vom theoretischen Input der Studentenrevolte zehrte", während die späteren "nichts Neues, Weiterbringendes" mehr entwickelten, sondern sinnentleert weitermachten.

Dass die interne Gruppendynamik der RAF von Anfang an eher an kaputte Obrigkeitsstrukturen als an die befreite Gesellschaft erinnerte, die sie ja hatten vorleben wollen. Es gab "Leader", die Befehle erteilten.

"Diejenigen, die sich an den Leadern orientierten, wichen nicht mehr ab, dachten nicht mehr selber nach, hatten Angst durch Infragestellen selbst verunsichert zu werden," so Rollnik. Sie müssen sogar erkennen, dass ihr jahrelanger Kampf im Gefängnis um Zusammenlegung unsinnig war.

Damals glaubten sie, wenn sie nur zusammen wären, könnten sie "eines Tages alles gemeinsam lösen", schreibt Folkerts. "Inzwischen denke ich, selbst wenn wir die Zusammenlegung erreicht hätten, wären die Gefangenen zu einer tiefgehenden Reflexion nicht in der Lage gewesen, weil dadurch zu viel in Frage gestellt war."

Unangepasst durch die Neunziger

Draußen dann, nach der Entlassung, stolperten sie alleine herum, unangepasst an den Alltag der Neunziger. "Nach dem Knast war da erstmal Wüste", schreibt Gabriele Rollnik. Mehrfach erwähnt sie, wie stark die Haftzeit "konservierte und verfestigte." Folkerts definiert den Hochsicherheitstrakt als "maximale Reduzierung und Fixierung".

Und Dellwo hat in der Zeit der schlimmsten Isolationshaft, nach den Selbstmorden von Stammheim, phasenweise die Sprache verloren. "In der Stille stand manchmal das Gefühl des Erstickens vor einem. Ich war einmal mehrere Tage nicht in der Lage, den Sauerstoff tief einzuatmen. (. . .) Sinn der Haft war, dass wir alle nach und nach auf Stein beißen und als Subjekte erstarrend verhungern."

Beim Lesen dieser Passagen fällt einem Christian Klar ein und dessen Interview mit Günter Gaus von 2001, in dem Klar beharrlich seine tiefgekühlten Phrasen aus längst vergangenen Zeit aufzuwärmen versuchte.

So zeigt "Nach dem bewaffneten Kampf" vor allem, wie absurd die Reueforderung an die noch inhaftieren RAF-Mitglieder ist. Reue setzt eine Distanzierung vom eigenen Tun voraus. Diejenigen, die hier zu Wort kommen, sind seit über zehn Jahren in Freiheit.

Eingeständnis des Scheiterns

Sie hatten die Kraft, bis zum Ende in dieser schwierigen Therapiegruppe zu bleiben, die ihnen überhaupt erst die Möglichkeit gab, "unsere Geschichte anders als affirmativ anschauen zu können," wie Rollnik es ausdrückt. Und erst jetzt, nach so vielen Jahren zähen Zankens und Zusammenraufens, empfinden wohl einige von ihnen heimlich so etwas wie Reue.

"Niemand war in der Lage, die eigene Praxis radikal zu reflektieren", schreibt Dellwo. "Schon meine eigene Gruppe konnte sich mit der Handlung in Stockholm nur rechtfertigend auseinander setzen." Nein, die Morde und die Namen der beiden erschossenen Geiseln werden nicht genannt, stattdessen steht hier blass und abstrakt "Handlung".

Die Worte "Reue" oder "Schuld" tauchen nicht auf. Und doch ist dieser Text beeindruckend in seinem Eingeständnis, gescheitert zu sein, gefehlt zu haben. "Heute akzeptiere ich, dass unsere Handlungen verurteilt worden sind und Folgen für uns haben mussten."

© SZ vom 10.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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