Christoph Menkes "Kritik der Rechte" hält mehr als der Titel verspricht. Es ist eine begriffliche Bestimmung des modernen Rechts und eine daraus hergeleitete Fundamentalkritik an ihrer heute dominanten Verwirklichungsform, dem bürgerlichen Recht. In Menkes Rekonstruktion ist das subjektive Recht, der individuelle Anspruch, das entscheidende Element des bürgerlichen Rechts. Solche Rechte sind für ihn keine moralischen Universalien, sondern in einem politischen Kampf entstandene Formen. Durch sie kann eine Rechtsordnung ihre Gehalte in dem Subjekt reflektieren, das einen eigenen Anspruch erhebt.
In subjektiven Rechten liegt für Menke freilich auch das systematische Verhängnis des modernen Rechts, der falsche Abzweig, der nach den Revolutionen genommen wurde. Theoretisch vorbereitet durch die frühneuzeitlichen Theoretiker des englischen Liberalismus erzwingt das bürgerliche Recht die Trennung zwischen der Innen- und Außenseite des Subjekts und löst damit individuelle Rechte von der öffentlichen Tugend. "Wer seine Rechte zu seiner autonomen Lebensgestaltung gebraucht, hat diese damit bereits zu einer bloßen Option, zu einem beliebigen Inhalt seines - sittlich indifferenten und damit nichtautonomen, weder autonomen noch heteronomen - Eigenwillens gemacht und damit entwertet: sich also seiner Autonomie beraubt." Subjektive Rechte dienen so nur einer abgeschlossenen privaten Sphäre, in der der "Eigenwille" des Subjekts herrscht, und der interessengesteuerten sozialen Teilhabe.
In beiden Funktionen vereinzelt das Recht die Subjekte und separiert sie von der politischen Gemeinschaft. Beide produzieren je eigene Typen von Recht. Der besitzbürgerliche Eigenwille ist im Privatrecht aufgehoben. Die lediglich parzellierte Teilnahme der vereinzelten Subjekte an der Gesellschaft wird im "Sozialrecht" bestimmt, das der individuellen Willkür aber nur äußerliche Grenzen zieht. Beide haben das Potential, das jeweils andere zu kritisieren: Aus der Perspektive des Privatrechts ist das Sozialrecht unfrei, aus der Perspektive des Sozialrechts ist das Privatrecht unsolidarisch. Diese wechselseitige Kritik vermag das bürgerliche Recht aber im Kern nicht zu verändern, sondern fungiert gerade umgekehrt als Vehikel seiner Stabilisierung. Sie ist keine Kritik im Sinne Menkes, sondern "Legitimationsstrategie im bürgerlichen Kampf ums Recht".
Menkes eigenes, der kritischen Theorie verpflichtete, Programm setzt fundamentaler an. Es behauptet nicht, dass die Form des Rechts zu irgendwelchen externen moralischen Maßstäben, sondern dass sie ontologisch zu sich selbst in Widerspruch stehe. "Das bürgerliche Recht verfehlt nicht, was es sein soll, sondern, wie es ist; es verfehlt sein Wesen. Das bürgerliche Recht verfehlt, ja es verstellt und blockiert den Akt der Selbstreflexion, der es begründet. Das bürgerliche Recht setzt die revolutionäre Prozessualisierung zugleich voraus und bricht sie ab. Es will postrevolutionär sein und wird dadurch antireflexiv und antirevolutionär."
Menke denkt von Beginn an über das "Recht der Zukunft" nach
Menkes Buch ist von einer geradezu berückenden systematisch-begrifflichen Geschlossenheit. In Hegelschem Stil werden Thesen und Antithesen formuliert und entlang Theorien der sozialen Ausdifferenzierung des Rechts, von Kelsen bis Luhmann, entwickelt. Während der Gehalt seiner Kritik namentlich an Marx, Luhmann und Derrida anschließen kann, schafft die begriffliche Rigorosität ein neues eigenes Argument. Dadurch bekommen verschiedenste Theorieelemente, Politik und Recht, öffentliches und privates, subjektives und objektives Recht entweder einen stimmigen systematischen Platz oder werden als fruchtlose Unterscheidungen zurückgewiesen.
Menke kann so klassische Texte der Rechtstheorie von Savigny über Kelsen bis Dworkin produktiv neu lesen und die Diskussionsfronten verschieben: Er befreit die Auseinandersetzung vom dominanten moralischen Reformismus, der maßgeblich für die Langeweile zuständig ist, die die meisten rechtsphilosophischen Debatten heute verbreiten. Die ästhetische Schulung des Verfassers ermöglicht ihm, was den meisten Beiträgen praktischer Philosophen zum Recht versagt bleibt: die Form des Rechts ernst zu nehmen, anstatt über sie hinweg zu predigen.
Diese systematische Strenge ist als große Stärke des Buches unvermeidlich auch seine größte Schwäche. Denn es ist erstaunlich, wie wenig es im Menkeschen System knirscht. Es ächzt nicht unter der dialektischen Spannung ambivalenter Phänomene, sondern wirkt viel eher wie ein perfekt zusammenpassendes Regal, dessen Teile entsprechend gut vorbearbeitet wurden. Doch mag man sich fragen, ob es das bürgerliche Recht, von dem Menke hier spricht, so eigentlich gibt - und ob ein wenig Platz im System für Phänomene vergeudet gewesen wäre, die dort weniger glatt hineinpassen. Das Strafrecht ist immer ein Fremdkörper im modernen Recht geblieben, wie der Bonner Staatsrechtler Gärditz gerade in einer brillanten Studie gezeigt hat. Und was ist mit den vielen um Emanzipation kämpfenden Gruppen, die erst durch die gemeinsame Einforderung von Rechten politisch vergemeinschaftet wurden? Es kommen mehr Phänomene in den Sinn, die quer zu Menkes Rekonstruktion liegen und uns doch etwas über den Begriff sagen könnten, auf den das moderne Recht philosophisch zu bringen wäre.
Menkes Anspruch geht über den aller seiner philosophischen Gewährsleute hinaus. Denn auf der einen Seite baut er ein System, was Benjamin, Derrida oder Nietzsche nicht mehr möglich erschien. Auf der anderen Seite beschränkt er sich nicht auf die Perspektive einer bloß zurückschauenden Systematik. Er denkt über das Recht der Zukunft nach, was wiederum Hegel und Luhmann gänzlich fremd gewesen war. Diese das Buch von Beginn an begleitende politische Aussicht auf ein "neues Recht" findet sich allerdings am Ende plötzlich abgemildert.
Will Menke zunächst noch die "Krise des bürgerlichen Rechts hervortreiben und verschärfen", so läuft da noch alles auf einen revolutionären Rechtsbegriff hinaus, von dem er sich schließlich begrifflich distanziert. Im Anschluss an Nietzsche soll das kommende Recht weder eines sein, das aus Herren Sklaven, noch eines, das aus Sklaven Herren macht, sondern ein "Recht der Gegenrechte". Dieses besteht in einer Distanzierung vom bürgerlichen Recht, die so ungesichert ist, dass sie auch mal mit diesem in eins fallen kann. Hier wird lange Anlauf genommen für einen Sprung, der sich selbst auch den Stillstand erlaubt. Das ist vielleicht weniger ein Problem des Systems - Menke bleibt sich mit diesem Ende in seinem distanzierten Denkstil treu - als eines einer Dramaturgie, die zwischenzeitlich zu große Erwartungen weckte. Es ändert aber nichts daran, dass dies das Buch ist, das die vielen Enden kritischer Rechtstheorie seit Marx aufnimmt und stimmig zusammenbindet.
Christoph Möllers lehrt Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Leibniz-Preisträger 2016.