Theaterpremiere in München:Leeres weißes Rauschen

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Gute Schauspieler hier verschwendet: Katja Bürkle, Damian Rebgetz, Peter Brombacher. (Foto: Gabriela Neeb)

Alexander Giesche bietet als Regisseur von "Yesterday You Say Tomorrow" im Werkraum der Kammerspiele nichts, was man erleben könnte.

Von Egbert Tholl

"Es gab einmal eine Zeit, in der es noch keine Worte gab für all das hier." Für eine Technik, die viel "abgefahrener" ist, als man sich je vorstellen konnte. Dieses Staunen formuliert der Schauspieler Peter Brombacher in wenigen Sätzen, die er mit weicher, müder Stimme spricht. Dann setzt der große, alte Theatermann eine Brille auf und verstummt für den Rest des Abends, die Zeit gerinnt und eine erlesene Langeweile macht sich breit, die entspannend wäre, hätte man nicht Mitleid mit den drei Schauspielern, die damit beschäftigt sind, das Nichts hier zu organisieren. Dieser Vorgang, nein besser, Zustand dauert 70 Minuten, was im Zusammenhang mit den bisherigen Premieren den Schluss nahe legt, die neuen Kammerspiele unter Matthias Lilienthal setzen alles daran, die Aufführungen deutlich unter Spielfilmlänge zu halten.

Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn denn in diesen 70 Minuten etwas passierte, was Herz oder Hirn oder am besten beides beschäftigte oder gar im Gedächtnis haften bliebe. Alexander Giesche versucht, in "Yesterday You Said Tomorrow" Langeweile durch Langeweile darzustellen, was auf dem Theater nie funktioniert, es sei denn, man nimmt sich dafür sehr viel Zeit. Das tat Giesche wohl auch, allerdings nutzte er sie, um mit seinen Freunden abzuhängen, wobei, so der Eindruck, selbst die drei Schauspieler störten. Wenn Giesche inszeniert, wird er zu "Giesche-and", zum Kollektiv - so etwas lernt man in Gießen bei der Angewandten Theaterwissenschaft - und zum Schlussapplaus im Werkraum der Kammerspiele kommen dann auch viele Leute auf die Spielfläche.

Die waren in erster Linie mit der Technik beschäftigt. Für Giesche, der noch nie einen echten Theatertext inszeniert hat, kann die Initiation zu einem Theaterabend - er selbst nennt diesen ein "visual poem" - auch in der Begegnung mit einem Ding liegen. Im vorliegenden Fall ist das Ding eine VR-Brille, eine Art Monsterskibrille, die ihrem Träger eine Computeranimation vor die Augen klatscht, welche interaktiv den Bewegungen des Körpers folgt. Vor der Aufführung kann man im Foyer des Werkraums so ein Ding ausprobieren, und es ist tatsächlich sehr lustig zu erleben, wie man damit eine Achterbahnfahrt unternehmen kann, ohne das Münchner Oktoberfest besuchen zu müssen. Leider bleibt während Giesches "poem" von der möglichen Faszination dieser Spielerei wenig übrig, weil man bis auf einen kurzen Moment nicht sieht, was die Akteure sehen. Nur einmal wird ein Ausschnitt davon projiziert, dann sieht man einen halbwegs gut animierten Schimpansen, der in die Kamera lacht, weil die Schauspielerin Katja Bürkle lacht, in deren Brille offenbar der Affe herumtollt. Bürkle tollt dann auch ein bisschen, sagen darf sie aber nichts - hier wird Theater zu einer grandiosen Verschwendung von in ihrem normalen Berufsleben ziemlich großartigen Künstlern.

Peter Brombacher darf wenigstens die eingangs erwähnten Sätze sagen, sitzt ansonsten auf einem Sofa und versucht, Kerzen auf einem Kuchen auszublasen. Katja Bürkle spielt ein bisschen Affe, und der aus Australien stammende Performer Damian Rebgetz führt einen unternehmungslustigen Staubsaugerroboter Gassi, erklärt kurz mit abenteuerlichem Akzent dessen Funktionsweise und macht Popcorn in der Mikrowelle. Dazu hört man ein mal weit entferntes, weil aus den Brillen stammendes, dann wieder sehr konkretes Soundtrack-Sammelsurium, in dessen Zentrum "I feel Love" von Donna Summer steht, ein Lied aus dem Jahre 1977, das damals als Zukunftsmusik gehandelt wurde und heute jegliche Disco-Nostalgie befriedigt.

Alexander Giesches "poem" ist eine Metapher. Wer zu lange in virtuelle Welten starrt, wird asozial und regrediert zum Affen. So schlau war man vorher auch, dafür braucht einer nur U-Bahn zu fahren und die leeren Gesichter der Smartphone-Benutzer zu betrachten. Für diese wohlfeile Erkenntnis verrät Giesche das so tröstlich analoge Medium Theater. Lockt das die Jugend ins Theater, ist das hip? Nein, es ist lediglich ein weißes, leeres Rauschen und nur dessen erster Teil: Giesche macht weiter.

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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