Theaterpremiere an der Volksbühne Berlin:Deutsche Schlachtplatte

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Peter Jordan in Claudia Bauers „Germania“-Inszenierung an der Berliner Volksbühne. (Foto: Julian Röder)

Die Regisseurin Claudia Bauer schiebt in ihrer "Germania"- Inszenierung mehrere Heiner-Müller-Texte ineinander, veralbert den Schrecken darin aber zu einer trashigen Pop-Kinderparty.

Von Peter Laudenbach

Die gute Nachricht zuerst: Die Berliner Volksbühne ist nach dem Dercon-Desaster in Rekordzeit wieder zu einem hochtourigen Theaterapparat geworden. Die schlechte Nachricht ist: Vor lauter hochtourigem Produzieren kommt es auf halbwegs zu Ende gedachte Inhalte derzeit nicht so an. Hauptsache viel Geschrei und möglichst flächendeckend bemühtes Livevideo. Nach einer gekonnt improvisierten Übergangsspielzeit wird jetzt das eigentliche Programm des eingesprungenen Intendanten Klaus Dörr sichtbar. Die bisherige Bilanz: Ein Komplettausfall von erstaunlicher Unbedarftheit (Thorleifur Örn Arnarssons "Odyssee") und eine technisch virtuose, inhaltlich dünne Medienkritik-Bilderoper ("Don't be evil" von Kay Voges). Die neue Premiere reiht sich irgendwo dazwischen ein.

Claudia Bauer, eine für ihr Spiel mit Trash und Ironie völlig zu Recht mit zwei Einladungen zum Berliner Theatertreffen gewürdigte Regisseurin, schiebt in ihrer "Germania"-Inszenierung mehrere Heiner-Müller-Texte ineinander, im Kern die Preußen- und Hitler-Groteske "Germania Tod in Berlin" von 1971 und Müllers Spätwerk "Germania 3", uraufgeführt 1996, wenige Monate nach dem Krebstod des Dramatikers. Bauers Regie ersetzt gedankliche Klarheit und nähere Beschäftigung mit dem Stoff durch die Freude an großzügig aufgefahrenen Effekten. Ein kleines Orchester (Musik und Orchesterleitung: Mark Scheibe) arbeitet sich durch einen Soundtrack, der sich abwechselnd bei Wagner, Schostakowitsch, Schönberg, Easy Listening und Zirkusmusik bedient. Das zweistöckige Gerüst (Bühne: Andreas Auerbach) auf der Drehbühne vor dem weiß angestrahlten Rundhorizont sieht aus wie der erste Entwurfsrohbau einer Bert-Neumann-Bühne, nur ohne dessen Raffinesse. Ähnliches gilt für das ohne erkennbare Bildsprache eingesetzte Livevideo, es scheint vor allem dem Zweck zu dienen, die Darsteller mit Großaufnahmen davon zu entlasten, den Bühnenraum bespielen zu müssen.

Müllers "Germania"-Texte servieren eine Schlachtplatte. Sein Theater stellt den Leichenbergen von Nationalsozialismus und Stalinismus ein Endlager zur Verfügung, die Bühne als Zombie-Friedhof, auf dem die Toten Ausgang haben. Und sei es nur, damit die Nibelungen in Endlosschleifen abwechselnd onanieren und einander massakrieren können ("ich will nicht jede Nacht sterben"). Ihre Nachkommen von der Wehrmacht üben sich im Kessel von Stalingrad routiniert in Kannibalismus. Hitler und Stalin sind bei Müller blutige Clowns, aber das mit den Clowns muss Claudia Bauer missverstanden haben. In Müllers blutigen Grotesken liegen Schrecken und Komik, Lachen und Grausamkeit eng beieinander. In Bauers Oberflächenregie bleiben davon nur harmlose Grand-Guignol-Nummern mit Schlenkern zur trashigen Ausstattungsrevue übrig. Hitler und Stalin, kenntlich an den unterschiedlichen Bärten, liegen zusammen in der Badewanne und kippen einander aus Benzinkanistern Blut über die Köpfe wie in der alten Harald-Schmidt-Show. Das sind so die Höhepunkte. Bauers Theater ist kein Müller-Schlachthaus, sondern nur eine Pop-Kinderparty.

© SZ vom 19.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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