Theaterfestival:Pure Lust am Spielen

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Ein exemplarisches Stück um den Nahost-Konflikt: Pinar Karabuluts "Gott wartet an der Haltestelle" im Münchner Volkstheater. (Foto: Krafft Angerer)

"Radikal jung" zeigt sich in diesem Jahr ebenso lustig wie politisch - und sehr weiblich

Von Egbert Tholl und Christiane Lutz

Der Tod riecht. Dick, süß, abstoßend. Man kann sich den Geruch des Todes zufächeln. Dazu werden Fächer durch die Zuschauerreihen gereicht, sie sind getränkt mit dem Geruch eines verschwundenen Lebens, eines Körpers, mit dem der Wohnung und dem, was durch die Fenster hereindrang, vom Fluss her. Hereindrang zu dem, der dort lag, 28 Monate. Erst stinkt ein Mensch, wenn er nicht mehr lebt, dann verschwindet selbst das. Übrig bleibt Staub. Der Fall ist Realität. 28 Monate lag Michel Christen tot auf dem Sofa in seiner Genfer Wohnung. Niemand hat ihn vermisst. Florian Fischer las davon in einer Schweizer Boulevardzeitung. Und machte daraus "Kroniek oder wie man einen Toten im Apartment nebenan für 28 Monate vergisst". 28 Monate, in denen der Briefträger die Post in den überfüllten Briefkasten stopfte und nie nach oben ging und klingelte, weil sein Arbeitspensum dafür keine Zeit ließ. 28 Monate, in denen weder die Trinkkumpane des Frührentners, seine Ex-Frau, seine Tochter noch sein Enkel nach ihm geschaut haben, in denen per Dauerauftrag Strom, Miete und Wasser weiterbezahlt wurden, für einen Toten. Wer zahlt, lebt weiter. Wie lange könnte das jedem von uns passieren?

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