Theater:Was die Zukunft bringt

Lesezeit: 2 min

Offenes Hemd, karierte Jacke, langes Haar: Stephan Ullrich spielt den sexuell frustrierten und nach eigener Aussage unpolitischen François. (Foto: Martin Kaufhold)

Am Bamberger ETA Hoffmann-Theater hat Sybille Broll-Pape Michel Houellebecqs komplexen Roman "Unterwerfung" für die Bühne bearbeitet

Von Florian Welle

Vor nicht allzu langer Zeit stand "Unterwerfung" am Stadttheater Ingolstadt auf dem Spielplan. Nun hatte die Adaption von Michel Houellebecqs gleichnamiger Dystopie in Bamberg Premiere. Da es keine gültige Spielfassung des unmittelbar nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo heiß diskutierten Romans gibt, muss jedes Theater sein eigenes Stück daraus basteln. So erlebt man Inszenierungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stets aber doch nur einen Ausschnitt der komplexen Vorlage einfangen.

Der Roman entwirft das Szenario eines Landes im Jahr 2022 mit dem ersten muslimischen Präsidenten, unterstützt von den Sozialisten, um die Machtübernahme des Front National zu verhindern. Während Donald Berkenhoff in Ingolstadt die Geschichte als trashigen Intellektuellen-Abgesang angelegt hat, in der Houellebecqs Held, der Midlife-Crisis gebeutelte Unidozent François, mit langen weißen Haaren und einer blaugetönten Brille ein wenig wie Doc Brown aus "Zurück in die Zukunft" wirkt - nur auf LSD -, bringt Sibylle Broll-Pape am ETA Hoffmann-Theater ein strenges Kammerspiel der über weite Strecken allzu leisen Töne auf die Bühne.

Dort das Rauschen von schnell geschnittenen Videos zu Songs von Hans Hartz' "Sail away" bis zu Woodkids "The Golden Age (is over)", hier überall französische Klischees, etwa Chansons mit viel Akkordeon und Trenchcoats mit hochgestellten Krägen, als würde man einen Film von Jean-Pierre Melville anschauen. Dort Humor und Anspielungen auf Diskursliteratur von Harald Welzer bis zu Byung-Chul Han, hier die ernsthafte Auseinandersetzung mit einer Romanfigur, die gerne unter den Tisch fällt: dem Décadence-Literaten und Katholizismus-Konvertiten Joris-Karl Huysmans.

Huysmans war Broll-Pape so wichtig, dass sie ihn, anders als im Buch, leibhaftig die ganze Zeit über an die Seite von François stellt. Wenn der sexuell frustrierte François misogynes Zeug absondert - die Liaison mit seiner Studentin Myriam wurde aufs Nötigste reduziert - rümpft Huysmans-Darsteller Daniel Seniuk missbilligend die Nase, fungiert als geschniegelter Anstandswauwau. Erst als François darüber nachdenkt, zum Islam zu konvertieren, gewinnt die Figur Huysmans und mit ihr Daniel Seniuk an Präsenz. François nämlich will seine beruflichen Privilegien nach den chaotischen Wahlen wiedererlangen (und möglicherweise drei Ehefrauen obendrauf), und setzt sich noch einmal intensiv mit dem katholischen Glauben auseinandersetzt. Huysmans ist sein Widerpart, dem die Tradition des christlichen Abendlandes nichts mehr bedeutet. Da nun leuchtet Broll-Papes zunächst sehr bieder wirkender Regiekniff ein.

Stephan Ullrich ist François, der von sich selbst sagt, er sei so "politisiert wie ein Handtuch". Broll-Pape lässt ihn aussehen wie den Autor Houellebecq. Das heißt: Ullrich trägt Pennerlook, offenes Jeans-Hemd, karierte Jacke, langes Haar. Doch ist Houellebecq nicht ein viel zu gerissener Schriftsteller, als dass man eine seiner Romanfiguren wirklich eins zu eins mit ihm gleichsetzen könnte? Zweifel sind mehr als angesagt, zumal Ullrich seinen François als arg verzagtes Häuflein Elend gibt. Zum Nachdenken bringen einen beide Inszenierungen, am meisten jedoch: der weiterhin aktuelle Roman selbst.

Unterwerfung, nächste Aufführung Fr., 3. Februar, 20 Uhr, ETA Hoffmann-Theater, Bamberg

© SZ vom 01.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: