Theater:Wartesaal zur Ewigkeit

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Auf der Erde gestrandet: Sascha Tuxhorn als humanoider Alien Thomas Jerome Newton. (Foto: Konrad Fersterer)

Die Inszenierung von David Bowies Musical "Lazarus" am Staatstheater Nürnberg überrascht mit einem eigenständigen Zugriff auf Handlung und Hits

Von Florian Welle

Auf ein Motto, das seine erste Spielzeit inhaltlich festlegen würde, hat Jan Philipp Gloger bewusst verzichtet. Stattdessen setzt der neue Schauspieldirektor auf theaterästhetische Vielfalt. Zu ihr gehört unbedingt auch die Musik. Sie bildet mit drei Inszenierungen eine der zentralen Säulen in Glogers Konzept, weshalb er auch zwei Hausmusiker engagiert hat: Die Songwriterin Vera Mohrs und den Theaterkomponisten Kostia Rapoport.

Mohrs hat schon bei dem Liederabend "Die Musik war schuld" gezeigt, dass sie auch bekannte Stücke - etwa Rio Reisers "Halt dich an deiner Liebe fest" - so zu arrangieren versteht, dass man sie regelrecht neu zu hören meint. Eine Leistung! Noch verblüffender ist nun, was Mohrs und Rapoport mit den Songs von David Bowie in dessen bitterem Musical "Lazarus" anstellen. Also mit Welthits wie "Changes", "Heroes" und "Absolute Beginners", tausendfach gehört, doch mittlerweile eben auch überhört.

Doch wenn auf der Schauspielhausbühne die prächtige achtköpfige Live-Band "Absolute Beginners" als Country-Nummer anstimmt, bis schließlich ein fetter Bläsersatz allem Westernhaften den Garaus macht, dann ist man als Zuschauer hellwach. So wach, dass man wieder jeder Zeile von Bowies Texten lauscht. Texten, die so gnadenlos sinnvergrübelt und einsamkeitstrunken sind, dass sie einen immer noch komplett umhauen können. Vor allem wenn sie gesanglich derart ruhig und kristallklar vorgetragen werden, wie hier von Sascha Tuxhorn, Lea Sophie Salfeld oder Pauline Kästner.

"Lazarus" hat David Bowie das Musical genannt, das er mit dem irischen Dramatiker Enda Walsh entwickelt und dessen Uraufführung er noch kurz vor seinem Tod erlebt hat. "Lazarus" heißt auch der Song, zu dem der schwerkranke Bowie ein letztes, ziemlich irres Musikvideo drehen konnte, in dem er sich schon im Himmel wähnt, frei wie ein Vogel. Es ist auch das erste Lied des Musicals und mit seinem Bibel-Verweis, vor allem auf die Lazarus-Legende des Johannes-Evangeliums, eine Art Wegweiser durch die codierte Geschichte, die man gar nicht in allen (märchenhaften) Zügen verstehen muss. So geistert in ihr die liebesnärrische Putzfrau Elly umher (hübsch penetrant: Lea Sophie Salfeld), vor allem aber der Ritualmörder Valentine (lässig: Nicolas Frederick Djuren) und eines seiner Opfer: das Mädchen Baby Grace Blue (Pauline Kästner, Typ laszives Girlie mit Pagenfrisur) und dem Bowie-Kenner bestens bekannt aus dem Konzeptalbum "1. Outside".

Die Story rund um die Themen Tod, Erlösung, Auferstehung und immer wieder "Love is Lost" setzt dort ein, wo der Film "Der Mann, der vom Himmel fiel" mit dem eiskalt-androgynen Bowie aus der Post-Ziggy-Stardust-Phase in der Rolle des Thomas Jerome Newton einst aufgehört hat. Newton, der humanoide Alien, der auf die Erde gekracht ist, um sich hier Hilfe für seinen Heimatplaneten zu holen, wurde von den Menschen verraten und ist darüber sich selbst verloren gegangen. Er kann nicht ins All zurückkehren, kann aber auch nicht sterben und lebt so in einer Art Zwischenreich, Trost suchend im Suff. Oder ist er schlicht verrückt, existiert alles nur in seinem Kopf?

Der Regisseur Tilo Nest und sein Team haben der Versuchung widerstanden, irgendwelche Assoziationen zum berühmten Film von Nicolas Roeg zu wecken. Also hat der Hauptdarsteller Sascha Tuxhorn als Newton auch keine kupferroten Haare wie einst Bowie. Sondern schlicht gar keine Haare. Der gelungenste Einfall ist indes das Bühnenbild. Nicht die Tatsache, dass im Verlauf der Aufführung die Theatermaschinerie mit Kunstnebel, Glitter, Flitter, Glam und vollem Einsatz der Bühnenhydraulik angeworfen wird. Sondern dass man Newton in einem Flughafen-Wartesaal leben lässt. Treffend für einen Heimatlosen wie ihn. Denn Flughäfen sind dem Anthropologen Marc Augé zufolge "Nicht-Orte" unserer globalisierten Welt. Räume des Dazwischen, die Einsamkeit schaffen.

Nachdem der Eiserne Vorhang hochgegangen ist, auf dem das Wort "Hope" spiegelverkehrt geschrieben stand, sitzt hier also Tuxhorn auf einer Bank herum. In Ionescos "Ein Stein fing Feuer" zeigte der Schauspieler zu Saisonstart, was er mit seinem Körper anstellen kann, bog und wand sich wie ein Schlangenmensch. Hier nun präsentiert er sich von einer anderen Seite, indem er Newton äußerst reduziert spielt. Die Augen blicken verloren, die Füße stehen unbeholfen beieinander, und die Hände hält er mit steifen Fingern vor dem Körper nach oben: eine Geste der Hilflosigkeit, die nie kitschig wirkt, sondern wirklich rührend. Am Ende platzen schwarze Luftballone. Die Hoffnung, so kann man zusammenfassen, stirbt. Zuletzt.

Lazarus , nächste Aufführung am Dienstag, 12. Februar, 19.30 Uhr, Staatstheater Nürnberg

© SZ vom 08.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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