Theater:Verblendet

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Das Nürnberger Staatstheater eröffnet die Saison mit "König Lear": Schauspieldirektor Klaus Kusenberg setzt auf Gothic-Pomp und starke Kontraste

Von Florian Welle

Bei Peter Steins Wiener Lear-Inszenierung gähnte das Nichts - existenzialistischer Horror Vacui. Johan Simons verwandelte in München die Lear-Bühne in einen Saustall - niederländischer Bauernbrueghel. Klaus Kusenberg setzt jetzt bei seinem "König Lear" auf Gothic-Pomp. Gemeinsam mit dem Ausstatter Günter Hellweg hat der Nürnberger Schauspieldirektor den hinteren Bühnenraum mit riesengroßen schwarzen Stoffbahnen verhängt. Davor wurde eine kreisrunde Schräge gebaut, auch sie ist schwarz. Nur ihre Ränder werden von einer Lichtschnur illuminiert.

Nach und nach betreten alle echten und alle falschen Verrückten dieses monströsen Hirnfieberstücks die Weltabsturzfläche. Der Graf von Gloster und sein Sohn Edgar. Der Graf von Kent und die Herzöge von Cornwall und Albany. Und natürlich Lear und seine drei Töchter Goneril, Regan und Cordelia. Nur Glosters Bastard-Sohn Edmund bleibt außen vor. Einsam und allein spinnt er sich am Rande stehend sein sinisteres Komplott zusammen. Man hat gesagt, dass Shakespeares Tragödie nur Gut und Böse kenne. Klaus Kusenberg folgt dieser Interpretationstradition auf ganzer Linie.

Alle Darsteller tragen schwarz-weiße Kostüme, in die ein bisschen Mode der Romantik, ein klein wenig Faschostyle und viel Wavelook eingeflossen sind. So lässt bereits die Ästhetik der Inszenierung keinen Raum für Grautöne, sprich: subtile Nuancen. Doch ist, um nur ein Beispiel zu nennen, Edmund wirklich nur das grobgeile Scheusal? Tobt in ihm nicht auch das Trauma des zurückgewiesenen Bankerts? Shakespeares Monumentalgebirge ließe differenziertere Lesarten zu. Schließlich bleibt es als Drama ein immerwährendes Rätsel. Legion sind die Fragen, die es stellt.

Klaus Kusenberg konzentriert sich auf die Frage nach dem Erkennen und Verkennen. Lear und Gloster meinen über Menschenkenntnis zu verfügen. Welch Irrtum! Beide sind sie Verblendete, die ihre Pappenheimer so gar nicht lesen können. Lear ist geblendet von der Macht, die ihm die Krone jahrzehntelang verliehen hat. Kaum dass er diese niederlegt - aus welchen Gründen auch immer - macht er sich angreifbar. Gloster ist geblendet von der Liebe zu seinem Sohn und damit ein leichtes Intrigenopfer. Erst als wahnsinnige und blind herumirrende Existenzen erlangen beide paradoxerweise Einsicht. Werden zu nackten Sehern, was sie freilich nicht davor bewahrt, dass Shakespeare auch ihnen das Licht ausknipst.

Die Heide ist bei Kusenberg eine bonbonbunte Felslandschaft. In ihr schlurft Lear-Darsteller Jochen Kuhl mit peruanischer Strickmütze auf dem Kopf völlig losgelöst umher und übt sich im Bodypainting. Die Heideszenen sind ein schöner Kontrast zur nachtschwarzen Optik der restlichen Aufführung. Die ist zurückzuführen auf die Worte von Lears treuem Diener Kent: "Freudlos, schwarz, tot ist alles."

Klaus Kusenberg hat viel gestrafft - gespielt wird die deutsche Fassung von Peter Stein nach Graf von Baudissin. Dadurch wird nicht nur schnell gestorben, sondern geht auch einiges an Shakespeares Figurenzeichnung verloren. Was wohl beabsichtigt ist und zur Inszenierungsidee passt, die auf den Kontrast Gut-Böse setzt.

Dieser bestimmt auch das Ensemble-Spiel, das eher laut als leise zu nennen ist. So darf Julia Bartolome als Regan die Zicke raushängen lassen, während Elke Wollmann als Goneril das blonde Gift mimt. So ist Julian Keck als Edgar die Gutmütigkeit in Person, während Christian Taubenheim den Edmund als böses, buckliges Männlein gibt. Immerhin nimmt sich Rainer Matschuk als tief verzweifelter Gloster ebenso zurück wie Jochen Kuhl, kaum dass er als Lear dem Wahnsinn anheimgefallen ist.

Mit großen Kinderaugen macht er sich die Welt, wie sie ihm gefällt, auch wenn neben ihm alles den Bach runter geht. Und um Josephine Köhler, die sowohl die Cordelia als auch den Narren spielt, muss man sich sowieso nie wirklich Sorgen machen. Im Zweifelsfall spielt sie die Rollen, wie es ihr Gefühl ihr einflüstert. Hier: die Cordelia als grundehrliche Haut und den Narren als grobschlächtigen Lackel.

König Lear, nächste Aufführungen: Sa., 17. Oktober, 19.30 Uhr, So., 18. Oktober, 19 Uhr, Staatstheater Nürnberg

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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