Theater:Stolz und Vorurteil

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Ali Berber als Amir in "Geächtet" am Stadttheater Ingolstadt. (Foto: Jochen Klenk)

"Geächtet" von Ayad Akhtar am Stadttheater Ingolstadt

Von Florian Welle, Ingolstadt

Das Theater als Seismograf gesellschaftlicher Problemlagen: Derzeit füllen der Toleranz-Klassiker "Nathan der Weise" und Ferdinand von Schirachs "Terror" die Spielpläne. Zu ihnen gesellt sich in jüngster Zeit "Geächtet". Gerade hatte Ayad Akhtars mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnetes Stück, das im Gewand einer Konversationskomödie Fragen nach Assimilation, Rassismus und political correctness stellt, am Münchner Residenztheater Premiere. Nun steht es auch am Ingolstädter Stadttheater auf dem Programm.

Man kennt das von Yasmina Reza: Zwei wohlsituierte junge Paare, ein Dinner, und die Katastrophe lässt nicht lange auf sich warten. Nur verhandelt Akhtar nicht die Institution der Ehe, sondern muslimische Identität. Wobei der Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln stets betont, sein viel und kontrovers diskutiertes "Geächtet" sei kein Stück über den Islam, vielmehr "geht es um dich selbst". Wir alle sind also angesprochen, Vorurteile ebenso zu hinterfragen wie Romantisierungen. Als Zuschauer kann man sich bei Akhtars voltenreicher Versuchsanordnung nicht ohne weiteres auf eine Seite schlagen. Denn hier wie dort regiert das Halbwissen.

Amir Kapoor ist ein New Yorker Wirtschaftsanwalt. Seinen richtigen Namen Amir Abdullah hat er abgelegt, dem Islam steht er distanziert gegenüber. Seine Frau Emily ist Künstlerin, sie sieht die Errungenschaften der Religion, gerade auf dem Gebiet der Kunst. Alles andere blendet sie aus. Sie überredet Amir, sich für einen Imam einzusetzen, was ihn letztlich die Karriere kosten wird. Die macht dafür seine afroamerikanische Kollegin Jory, wie sich beim Dinner herausstellt. Dabei kommt noch mehr ans Licht, etwa dass Jorys Freund, der jüdische Kurator Isaac, ein Verhältnis mit Emily hat.

Auf der nach oben offenen Eskalationsskala kennt Ayad Akhtar keine Grenze. Am Ende, befeuert vom Alkohol, zeigt Amir Sympathie für 9/11 und wird dafür von Isaac als "verkappter Drecksdschihadist" beschimpft. Emilys Untreue gibt ihm den Rest. Amir verprügelt sie. Regisseur Antoine Uitdehaag zeigte das am Residenztheater in abgeschwächter Form. Als Ohrfeige. Markus Heinzelmann dagegen beschönigt auf der großen Ingolstädter Bühne nichts. Hier schlägt der drahtige Ali Berber als Amir auf Yael Ehrenkönig, die die leidlich naive Emily spielt, ein, bis das Blut fließt.

Allerdings erlangt Heinzelmanns Inszenierung ihre Dichte und Dramatik erst nach der Hälfte des Stücks. Vorher besitzt sie wenig Tempo und Rhythmus. Fatal für ein Stück, das auch Komödie sein soll. Dabei geizt Heinzelmann nicht mit boulevardesken Elementen: es gibt eine Schwingtür für dynamische Auf- und Abtritte sowie Küchengeräte, die verrücktspielen. Aber es fehlt den Schauspielern - neben Berber und Ehrenkönig sind das die ungewohnt steif agierende Patricia Coridun als Jory sowie der solide Matthias Zajgier als Isaak - an der notwendigen Nonchalance. Vieles ist vorhersehbar, bis es zum Schlagabtausch kommt und die Aufführung zum Finale furioso ansetzt.

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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