Theater:Staatsgeheimnisvoll

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Theaterbesucher auf Audioguide-Tour in der Glyptothek. (Foto: Benno Tobler)

Per Audioguide durch die Welt der Geheimdienste: Die Gruppe Rimini Protokoll zeigt in der Münchner Glyptothek das Stück "Top Secret International".

Von Lukas Latz

Immer wieder verzweifeln Datenschützer daran, dass so wenige Menschen sich über Vorratsdatenspeicherung und Netzüberwachung empören. Die Arbeit von Geheimdiensten ist im Alltag zwar omnipräsent, doch zugleich ungreifbar. Es klingt daher nach einer guten Idee, die Arbeit der Geheimdienste mit den Mitteln einer äußerst sinnlichen, hautnah erfahrbaren Kunstform, nämlich des Theaters, näherzubringen. Das versucht die Gruppe Rimini Protokoll (Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel) in einer Produktion der Münchner Kammerspiele. Am Samstag feierte ihr Stück "Top Secret International" Premiere in der Münchner Glyptothek, dem Museum für antike Skulpturen. Das Stück ist der erste Teil einer in Koproduktion mit dem Goethe-Institut geplanten Tetralogie über den Staat, von der im Frühjahr 2018 alle vier Teile im Berliner Haus der Kulturen der Welt gezeigt werden sollen.

In der Eingangshalle erhält der Zuschauer einen Kopfhörer, einen Bleistift und einen Notizblock, in den ein Smartphone eingebaut ist. Via Kopfhörer melden sich der Schauspieler Peter Brombacher (oder andere Ensemblemitglieder der Kammerspiele) und eine maschinelle Stimme zu Wort und führen das Publikum durch das Museum. In den Winkeln der Säle sind unauffällig kleine Holzkästen angebracht. Über diese Kästen werden die Zuschauer ständig geortet. Wer von den Weganweisungen abweicht oder zu lange mit dem Weitergehen zögert, wird von seinem Smartphone streng ermahnt, sich an die Vorgaben zu halten. Rimini Protokoll hat Interviews mit Geheimdienstexperten geführt. Es kommen sehr verschiedene Perspektiven zur Sprache. Zu hören sind ausgewiesene Überwachungskritiker, Sicherheitsexperten, aber auch die Stimmen von echten Agenten. Zu den Interviewten zählen der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, der ehemalige BND-Chef Gerhard Schindler und der Datenschutzaktivist Jacob Appelbaum.

Es geht um die Gefahren von Überwachung ebenso wie um das Positive von Geheimdienstarbeit

Aufwühlend ist die Geschichte eines BND-Agenten. Er hat einen leicht sächsischen Akzent und bleibt anonym. Er erzählt, wie er nach Libyen geschickt wurde, um dort Waffen zu kaufen, damit sie nicht in die Hände des "Islamischen Staats" fallen. Er scheint davon überzeugt zu sein, dass er Europa vor einer Katastrophe bewahrt hat: "In jeder dieser Einrichtungen liegt ausreichend Sprengmaterial, um Anschläge hier in Europa durchzuführen für die nächsten 200 Jahre, und mit relativ wenig Geld kann man ein Fischerboot chartern und kann hier unentdeckt Munition nach Europa bringen." Dieser Agenten-Story mangelt es nicht an hollywoodesker Spannung: "So, und wir sind dann mit dem vorletzten Flug raus, und während wir gestartet sind, haben wir schon gesehen, wie vorne ein Panzer ins Hauptgebäude gefahren ist."

Den Zuschauern werden im Verlauf des Audioguide-Parcours circa ein Dutzend Ja-Nein-Fragen gestellt, etwa die Frage: "Darf der Staat Informationen vor seinen Bürgern geheim halten - auch wenn sie zur Aufklärung einer Straftat beitragen könnten?" Je nachdem, wie der Zuschauer antwortet, werden ihm andere Dokumente vorgespielt. Wie das Stück für jeden einzelnen Zuschauer verläuft, ist somit abhängig von seinen moralischen Reflexen. Das Material, mit dem die Zuschauer konfrontiert werden, ist stets ein Argument gegen die Position, die er zuvor eingenommen hat. Die Algorithmen wirken hier also genau umgekehrt wie die Facebook-Algorithmen. Sie filtern nicht diejenigen Informationen heraus, die am besten ins eigene Weltbild passen, sondern die Informationen, die das Weltbild am stärksten herausfordern. Hat der Zuschauer die oben zitierte Frage nach der Geheimhaltung bejaht, dann bekommt er die Geschichte von Khaled El Masri zu hören, der von der CIA gefoltert wurde. El Masris Anwalt brachte einen Strafprozess gegen die CIA in Gang, der eingestellt wurde. Nicht, weil es keine Beweise für die Misshandlungen gab, sondern weil die Beweise ein Staatsgeheimnis der USA sind.

Mit dem Stück gelingt es Rimini Protokoll kaum, Geheimdienste auf eine taktile, weniger abstrakte Ebene zu holen. Trotzdem könnte das Stück für viele Zuschauer ein Weckruf sein, sich mit den Gefahren von Überwachung und intransparenten Sicherheitsbehörden auseinanderzusetzen. Und Datenschützern legt es nahe, dass gute Geheimdienstarbeit die Gesellschaft schon auch sicherer macht.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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