Theater:Schwäche, dein Name ist Mann

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Robert Borgmann inszeniert in Köln Tschechows "Iwanow". Mit einer tollen Sophia Burtscher.

Von Martin Krumbholz

Das Wort "Komödie" hat am Beginn des zweiten Akts jemand in schwarzer Farbe an die Wand geschmiert, um anzuzeigen, dass an dieser Stelle ein scharfer Tonartwechsel vollzogen wird, von schwerem Moll zu kristallinem Dur. Der zweite Akt von Tschechows "Iwanow" spielt auf dem Gut des Lebedew, eines heruntergekommenen, aber gutartigen Fünfzigers, der gern abendliche Empfänge organisiert, auf denen seine vor Geiz erstarrte Frau die Gäste mit eingelegten Gurken bewirtet. Das Stichwort "Komödie" funktioniert wie ein Ordnungsruf, den die Schauspieler, in sanft karikierenden Kostümen von Bettina Werner, gewissermaßen übererfüllen. Die Komödie nimmt Fahrt auf, und doch bleibt das Gefühl: Es ist gar keine.

Von allen brüchigen, morbiden, verzweifelten Tschechow-Helden ist Nikolaj Alexejewitsch Iwanow vielleicht der unsympathischste, vielleicht aber auch nur der kränkste. Er betrügt seine todkranke Frau Anna, die er offenbar nicht zuletzt ihrer Mitgift wegen geheiratet hat (die dann aber ausblieb), mit der zwanzigjährigen Tochter seines Freundes Lebedew. Er faselt ständig von einer "furchtbaren Schuld", die er auf sich geladen habe, rührt aber keinen Finger, um an seinem parasitären Dasein auch nur das Geringste zu ändern. Seine Schwermut trägt er vor sich her wie ein Glaubensbekenntnis. Marek Harloff spielt diesen 35-jährigen Greis mit einem Minimum an Bewegungsaufwand. Er sitzt in seinem Eulennest, und wenn er einmal den Mund öffnet, dringen weinerliche Laute hervor. Seine rote Zipfelmütze erinnert an die Nikoläuse, die einem jetzt überall draußen begegnen, es fehlt nur der weiße Bart. Tschechows "Iwanow" ist in der Lesart des Regisseurs Robert Borgmann ein Epitaph auf die Melancholie. An ihr ist wirklich nichts mehr nobel oder anziehend, sie hat ihre Aura eingebüßt.

Tschechow hat bekanntlich einige seiner Stücke ausdrücklich als Komödien bezeichnet, "Iwanow", entstanden 1887, gehört nicht dazu. Der Held nimmt sich am Schluss das Leben, als seine Frau an Schwindsucht gestorben ist und seine Geliebte sich anschickt, ihn zu heiraten, aber Mitleid empfindet man schwerlich. In Robert Borgmanns fast vierstündiger Inszenierung am Schauspiel Köln gibt es durchaus einiges zu lachen, doch der Humor ist alles andere als geschmeidig. Warmherzige Züge fehlen. Man lacht etwa über den desolaten Lebedew, der unter der Knute seiner Frau seinen Verstand versoffen hat, aber noch Witze reißen kann. Guido Lambrecht gibt ihm das Profil eines vom Leben Gezeichneten, dem der Kälte-Panzer eines Iwanow fehlt. Lebedews Wunden liegen gewissermaßen offen da. Ähnliches gilt für Wolfgang Preglers Grafen Schabelskij, der auf dem Dreirad herumsaust wie ein Kind.

Iwanow liebt weder Frau noch Geliebte wirklich. Leidenschaft zeigen nur die Frauen

Da der Titelheld so furchtbar uninteressant ist, sah der Regisseur sich genötigt, das Zentrum des Abends zu verschieben. Er findet es in jener Frau, die von Iwanow angeschmiert und hintergangen wird. Eigentlich sind es ja zwei Frauen: Anna Petrowna, die ursprünglich Sarah hieß, eine Jüdin, die Iwanow zuliebe konvertierte; und Lebedews Tochter Sascha, die sich in den klapprigen Melancholiker verliebt, indem sie sich einredet, Schwäche sei doch irgendwie attraktiv. Iwanow liebt keine von beiden wirklich. Wer hier Leidenschaften zeigt, das sind die Frauen, die ältere so gut wie die jüngere.

Der Coup, beide mit ein und derselben Schauspielerin zu besetzen, geht dank der Potenz von Sophia Burtscher bestechend auf. Beeindruckend ihre Verwandlungsfähigkeit, man erkennt die eine in der anderen tatsächlich kaum wieder, aber vor allem sind es die vielfältigen Modulationen der Hingabe, die beide Frauen verbinden. Sophia Burtscher zeigt, dass es für diese Liebe zu einer Null keine Erklärung gibt, man muss sie wohl als eine Art Gnadenwunder akzeptieren. Wenn Iwanow im Stück Sascha küsst und dabei von seiner Frau überrascht wird, ist es hier Anna Petrowna in ihrem langen weißen Kleid, die er umarmt, nicht das Girlie Sascha. Für Iwanow macht es keinen großen Unterschied, wen er küsst; das ziellose Begehren ist nur ein bisschen im Kreis gewandert.

Im vierten Akt, nach Annas Tod, lässt Borgmann den überflüssigen Menschen Iwanow gar nicht mehr auftreten. Die Inszenierung diffundiert nun ins Performancemäßige. Gerrit Jansens notorische Wutrede (Jansen hat zuvor den anständigen Arzt Lwow gespielt, der in Anna verliebt ist) verunglückt, nicht zuletzt wegen einiger störender Interventionen seitens des Publikums, das am Ende seiner Geduld ist. Der Faden reißt, aber es tut nichts. Das Bild, das sich am Schluss eines (offenbar in mehrfachem Sinn) aufregenden Abends einprägt, ist das einer Frau im Regencape - Anna Petrowna oder Sascha -, die einsam und verloren über die Bühne irrt.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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