Theater:Schule des Sehens

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Staunen wie ein Kind: Auf der Bühne tanzen die Moleküle, und die Grenze zum Objekttheater verschwimmt. (Foto: Élise Schneider)

Das bundesweite Netzwerk "Explore Dance" schließt eine Lücke im Kulturangebot für Kinder. Im Hoch X gastiert nun das Stück "Eine Geschichte der Welt", das in enger Zusammenarbeit mit dem Zielpublikum entstanden ist

Von Sabine Leucht

Nein, selbst tanzen werden die Kinder nicht, auch wenn hinter "Explore Dance - Netzwerk Tanz für junges Publikum" unter anderem der Verein Tanz und Schule steht, der mit Projekten wie "Heinrich tanzt" ganze Klassenverbände auf die Bühne bringt. Laut Simone Schulte-Aladag kam es da bereits zu Missverständnissen. Allerdings weniger in München als in Potsdam und Hamburg. Über diese drei Ecken spannt sich das 2018 gegründete Netzwerk, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, etablierte Choreografen für die Arbeit für Kinder und Jugendliche zu gewinnen sowie nachhaltige Strukturen für die Entwicklung und den Austausch zeitgenössischer Tanzproduktionen aufzubauen. Damit soll eine Lücke im Kulturangebot geschlossen und für möglichst viele Kinder eine "Schule des Sehens" etabliert werden.

Mit der Fabrik Potdam, K 3 Tanzplan Hamburg und Fokus Tanz/Tanz und Schule e. V. haben sich drei sehr unterschiedliche Veranstalter auf ein Konzept geeinigt, das es erlaubt, von den Erfahrungen der Partner zu profitieren und lokale Eigenarten zu bewahren. Das Projekt bekommt seine Gelder zunächst für drei Jahre über den Tanzpakt Stadt-Land-Bund. Über die 18 Choreografen der sechs Uraufführungen pro Spielzeit entscheidet ein internationaler Beirat. Pro Stadt und Jahr entstehen je ein mobiles Pop-up-Format und ein Bühnenstück, das auch durch die Partnerstädte tourt. Außerdem gibt es jährlich eine Präsentation aller sechs Produktionen an einem Ort. Das wird in München zwar erst im Juli 2020 sein. Doch wenn nun Dennis Deters und Lea Martinis "Eine Geschichte der Welt" kommt, ist dies bereits die vierte hier zu erlebende "Explore dance"-Produktion.

Das Stück für Kinder ab sechs Jahren ist für zwei Schul- und eine Familien-Vorstellung im Hoch X zu Gast. Entstanden ist es in Potsdam in enger Zusammenarbeit mit dem Zielpublikum, die fester Bestandteil des Programms ist. Das Einbeziehen von Kindern und Jugendlichen - ob mittels Workshops oder als Testpublikum - ist vor allem für jene wichtig, die zum ersten Mal für junge Zuschauer arbeiten. So etwa Diego Tortelli, dessen Wahrnehmungsexperiment "Shifting Perspektives" hochwertigen abstrakten Tanz zur freien Kombinierbarkeit mit Tonspuren zur Verfügung stellte. Abstrakt war auch das Solo, das Anna Konjetzky mit der wunderbaren Sahra Huby erarbeitet hat.

Während diese beiden Münchner Produktionen das Publikum selbst auf die Suche nach Sinn schickten, umkreiste die Hamburger Choreografin Antje Pfundtner in "Für mich" mit einem bunten Formenpotpourri von der Sprachspielerei bis zum Rülps-Tanz eher lebensweltliche Themen. Die Vielfalt ist immens - und gewollt. Schulte-Aladag: "Wir wollen uns bewusst lösen vom konventionellen Tanzbegriff und zeigen: Tanz geht auch so". "So", das heißt im Falle der "Geschichte der Welt": die Perspektive der Kinder einnehmen. Ohne Sprache lassen drei Performer im Scheinwerferlicht Moleküle tanzen und entdecken Riesenechsen in den Falten des Theatervorhangs. Auch im engeren Sinne tänzerische Passagen wird es geben. Doch die Grenzen zu Performance- und Objekttheater sind fließend.

Eine Geschichte der Welt, Do. u. Fr., 16., und 17. Mai, 10 Uhr, Sa., 18. Mai, 15 Uhr, Hoch X, Entenbachstraße 37

© SZ vom 16.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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