Theater:Schonungslos selbstbestimmt

Lesezeit: 3 min

Steffen Siegmund in Leonie Böhms Inszenierung von "Nathan die Weise", einem feministischen Blick auf Lessings Drama, herausgekommen am Thalia Theater Hamburg. (Foto: Krafft Angerer)

Das Programm des Festivals "Radikal jung" im Münchner Volkstheater

Von Egbert Tholl

Kulturreferent Hans-Georg Küppers freut sich. Jahre lang hat er versucht, den Untertitel des Festivals zu ändern, nun ist es ihm gelungen. Zwölf Mal hieß "Radikal jung" "Das Festival junger Regisseure". Nun heißt es "Das Festival für junge Regie". In diesem Jahr sind sechs Regisseurinnen und drei Regisseure eingeladen. Das ließ sich dann offenbar nur noch unter einem geschlechtsneutralen Untertitel subsumieren.

Küppers ist aber auch über andere Sachen froh. Darüber, dass es ganz offensichtlich ein Interesse junger Regisseure an politischem Theater gebe, dass sich junge Leute mit dem "Individuum und seiner Verortung in der Gesellschaft" beschäftigen, dass "Radikal jung" längst eine unzweifelhaft hohe Bedeutung erlangt hat und man in diesem Jahr die 13. Fee aus dem "Dornröschen"-Märchen überwinde. Küppers Märchen-Exkurs verläuft zwar ein wenig auf verschlungenen Pfaden, Tatsache jedoch bleibt, dass das Festival nun eben zum 13. Mal stattfindet, von 28. April bis 7. Mai, wie immer mit einem von Kilian Engels, C. Bernd Sucher und Annette Paulmann ausgewählten Programm.

Die Auswahl ist weit gefasst, Produktionen aus Stadt- und Staatstheatern treffen auf freie, zwei sind aus dem Ausland, aber das liegt in diesem Jahr in der Nachbarschaft, anders als in der vergangenen Jahren. Samira Elagoz wird mit "Cock, Cock . . . Who's there?" am 7. Mai das Festival beschließen, es könnte die aufregendste Produktion sein. Elagoz lebt in Amsterdam, hat eine finnische Mutter, einen ägyptischen Vater und hat mit sich allein eine Performance entwickelt, über die zu sprechen Kilian Engels deshalb ein bisschen schwer fällt, weil er nicht genau weiß, wie viel er davon preisgeben darf. Nichtsdestotrotz: Dass Elagoz schonungslos mit eigenen Erlebnissen umgeht, haben ja bereits holländische Zeitungen berichtet. Es geht um Intimität und Gewalt, um selbstbestimmte Sexualität. Um die eigene Vergewaltigung. Und um die Präsentation einer offensichtlich aufwendigen Recherche: Wie viel kann eine Frau flirten, ohne Angst haben zu müssen, dass ihr Gewalt angetan wird?

Am Abend davor das andere Gastspiel aus dem Ausland, vom NT Gent, also quasi inspiriert von Johan Simons (der ist ja dort): "Kroniek oder wie man einen Toten im Apartment nebenan für 28 Monate vergisst" behandelt einen Fall, der sich genauso wie der Titel heißt, zugetragen hat. 2005 wurde der Leichnam von Michel Christen in dessen Wohnung in Genf gefunden. Zu diesem Zeitpunkt war Christen 28 Monate tot. Was der Regisseur Florian Fischer zu einem Abend über das Zusammenleben in unserer urbanen Welt inspirierte.

Der Reihe nach. Das Festival beginnt mit einem Gruß aus der Küche: Leonie Böhm machte am Thalia Theater Hamburg Lessing, aber "Nathan die Weise", mit einer Schauspielerin, einem Schauspieler und einem Musiker. Und der Frage, was denn die Frauen in dem Stück davon halten, dass die Männer alles entscheiden. Dramaturg der Produktion ist übrigens Matthias Günther, der zuvor lange an den Münchner Kammerspielen war. Darauf folgt zwei Mal das Berlin Maxim Gorki Theater. Einmal Suna Gürler mit "Stören", einem Projekt mit "Laiinnen" (Engels), also nicht-professionellen Schauspielerinnen, die alle Arten der Weiblichkeit auf die Bühne bringen. Dann Nora Abdel-Maksoud mit "The Making-Of" über Frauen in der deutschen Filmindustrie bis hin zu feministischen Pornodarstellerinnen.

Kilian Engels hat auch schon einen Kandidaten für den Publikumspreis: "Wenn die Rolle singt oder der vollkommene Angler" von Johanna Luise Witt über den Anglerverein "Petri Heilbutt", wieder vom Thalia. Engels: "Zauberhaft gespielt, zauberhaft unterhaltsam." Der Beitrag des Volkstheaters selbst ist "Das Schloss" von Kafka und Nicolas Charaux, aus Dresden kommt "Gott wartet an der Tankstelle" von Maya Arad Yasur, vom Studio Naxos und der Hessischen Theaterakademie "Der 2. Mai 2017" von Jan Philipp Stange. Spielt am 2. Mai und zeigt die Nachrichten des Tages, transformiert in Elektrokunstpop.

Am Volkstheater selbst gibt es in dieser Saison noch vier Premieren, außerhalb von "Radikal jung": Christian Stückl inszeniert Ibsens "Baumeister Solness" mit Maxi Brückner in der Hauptrolle (31. März), Abdullah Karaca erklärt mit dem Text von Sasha Marianna Salzmann den "Dschihadismus in acht Schritten" (22. April), Sankar Venkateswaran zeigt "Indika" und Jassica Glause "Paradies Fluten".

© SZ vom 24.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: