Theater-Premiere:Auf Gandhis Spuren

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Bei ihrer Suche nach den Sündern von heute werden die Autorinnen schnell fündig: bei Männern. Im Bild die Schauspielerin Sarah Sandeh. (Foto: Thorsten Wulff)

Sieben europäische Autorinnen nehmen sich am Badischen Staatstheater Karlsruhe "Die neuen Todsünden" vor und arbeiten sich in Kurzdramen daran ab.

Von Adrienne Braun

Sein Barsch - ein Traum. Timo weiß, wie deutsche Küche schmecken muss. Er kocht im "Heimat Royal". Jetzt allerdings hat der Sous-Chef im Kühlhaus einen ausländischen Spüler zusammengeschlagen. Die Presse wittert Rassismus, da der Koch schon auf Neonazi-Demos gesichtet wurde. Aber nein, sagen die Kollegen - einfach nur geschubst, ausgerutscht, verletzt. "Das ist schlimm, aber es ist auch alles."

Es ist eine üble braune Brühe, die Maryam Zaree in ihrem Kurzdrama "Deutsche Küche" auftischt, um auf ganz eigene Weise anzuprangern, was Mahatma Gandhi als eines der Hauptübel in dieser Welt sah: Wissen ohne Charakter. "Die neuen Todsünden" nennt sich ein ambitioniertes Projekt am Badischen Staatstheater Karlsruhe, für das die Schauspieldirektorin Anna Bergmann Kurzdramen zum Thema Todsünde in Auftrag gegeben hat - nicht zu den christlichen, sondern zu jenen, die Gandhi als Ursache sämtlicher Gewalt in der Welt sah: Politik ohne Prinzipien, Wissenschaft ohne Menschlichkeit oder auch Reichtum ohne Arbeit.

Nachdem das Badische Staatstheater in den vergangenen Monaten vor allem unerfreuliche Schlagzeilen machte wegen Kritik am Führungsstil des Generalintendanten Peter Spuhler und wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs im Haus, setzt Anne Bergmann dem männerdominierten Theaterbetrieb geballte Weiblichkeit entgegen. Seit zwei Jahren engagiert sie gezielt Regisseurinnen und hat nun auch für "Die neuen Todsünden" ausschließlich Autorinnen eingeladen. Eine Theatermacherin aus Aserbaidschan ist dabei, eine schwedische Comiczeichnerin und eine Schauspielerin aus Rumänien. Die eine ist Anfang dreißig, die andere Ende fünfzig - und allesamt repräsentieren diese Frauen eine Theatergeneration, die extrem international aufgestellt ist.

Bei ihrer Suche nach den Sündern von heute sind die Autorinnen bei den üblichen Verdächtigen fündig geworden: Männern, Reichen - und natürlich Politikern. So erinnert die Athener Theaterautorin Angeliki Darlasi an einen Skandal, bei dem griechische Politiker aus Sorge um ihre Wiederwahl drogenabhängige Frauen öffentlichkeitswirksam an den Pranger stellten, sie der Prostitution bezichtigten und ihnen HIV-Infektionen andichteten. In "Ein Nichts" versucht nun eine junge Frau, aus einer Politikerin wenigstens ein Wort des Mitgefühls herauszupressen, eine Entschuldigung dafür, dass sie ihre Mutter unschuldig einsperren ließ und letztlich in den Tod trieb. Vergeblich.

Viele Theater reduzieren derzeit Personal und verschlanken Stücke, Anna Bergmann wollte dagegen trotz Corona nicht nur die Zusammenarbeit über Landesgrenzen fortsetzen, sondern "Die neuen Todsünden" auch wie geplant als spartenübergreifendes Projekt realisieren. So windet sich in "Fisch im Limbus" eine Tänzerin wie ein Fischlein im Wasser. In der zynischen Kurzoper, deren Musik Clemens Rynkowski komponiert hat, lässt die Autorin Elisa Schmit zwei Hausfrauen im Supermarkt um den letzten frischen Fisch dieser Erde zanken, denn auf den Speiseplänen stehen längst nur noch Insekten und Proteine aus der Tube. "Krass, mega, richtiger Fisch aus der Natur", trällern die Kundinnen, verdrücken ein paar falsche Tränen über das Artensterben - und greifen schließlich doch gierig zu. Auf rollenden Pumps jagen die Sängerinnen Lucia Lucas und Frida Österberg ihren Einkaufswagen hinterher - eines von vielen starken Bildern.

Raffiniert ist auch, wie in "Trance" die Videokamera den Blick von oben in das Krankenzimmer eines skrupellosen Hirnforschers überträgt. Er, der einst Gehirne optimierte, muss bitter erfahren, dass sein "unglaublicher Datenträger" ihn zunehmend im Stich lässt. Sein Gedächtnis ist "wie ein junger Vogel aus dem Nest gefallen" - er wird dement. Grandios, wie Timo Tank diesen "Manipulator" spielt, einen schmierigen Kerl, der halb Dämon, halb klappriger Senior ist. Schade nur, dass sich die Autorin Marina Davydova nach einem viel versprechenden Einstieg im Kleinklein einer Eifersuchtstragödie zweier Patienten verliert.

"Trance" ist nicht der einzige Text des Abends, der noch einmal in die Werkstatt hätte zurückgeschickt werden sollen. Bei Larisa Faber schütten sich Hochzeitsplanerin und Bräutigam gegenseitig ihr Herz aus. Beide sind Missbrauchsopfer, doch Faber gelingt in "340x" nicht annähernd, die Dimension ihrer Schicksale zu vermitteln.

Besonders enttäuschend ist "How to end extreme wealth" von Liv Strömquist, einer sehr erfolgreichen schwedischen Comiczeichnerin. Sie hat sich die Superreichen vorgeknöpft und doch nur eine platte Parodie auf jene verfasst, die die Kluft zwischen Arm und Reich verringern wollen - was ganz im Sinne Gandhis wäre. Bei Strömquist sind die Aktivisten naive Lachnummern, die mit großem Getöse verkünden, Golfplätze in Gemeinschaftsgärten zu verwandeln.

© SZ vom 07.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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