Theater:Neue Familie, alte Probleme

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Egon (Gero Nievelstein) und seine "drei Schönen", Inga Behring, Susanne Berckhemer, Denia Nironen (von links). (Foto: Marion Bührle)

Ewald Palmetshofer hat Gerhart Hauptmanns Sozialdrama "Vor Sonnenaufgang" modernisiert. Nun ist es in Regensburg zu sehen

Von Egbert Tholl, Regensburg

Was macht man mit Klassikern, die bei ihrer Entstehung zeitgebunden waren und heute eine gewisse Befremdung auslösen? Man gibt sie einem Regisseur wie Simon Stone oder einem Autor wie Ewald Palmetshofer. Seit seiner Uraufführung Ende 2017 in Basel hat Palmetshofers "Vor Sonnenaufgang" eine veritable Erfolgsgeschichte geschrieben. Das Stück basiert auf Gerhart Hauptmanns gleichnamigem Stück, behält dessen Personal und Struktur, erzählt aber frei die Figuren heute und mit heutiger Sprache. Aus schlesischen Bauern, die durch Kohlefunde auf ihrem Grund reich und trübselig wurden, wird bei Palmetshofer eine Familie, die sich mit eigener Hand einen mittelständischen Autoteilebetrieb schuf, damit reich, aber auch nicht glücklich wurde.

Am Theater Regensburg glaubt Robert Teufel vollkommen an den Text, inszeniert jedes Komma, jede Regieanweisung. Taugt das Stück, muss es dies aushalten, die Inszenierung ist dessen Analyse. Zweierlei fällt da auf: Palmetshofer schreibt ein Well-Made-Play, mit kleinen Löchern in den Dialogen, die manieriert einen kolloquialen Duktus simulieren; er gibt bestenfalls eine Ahnung davon wieder, was Hauptmanns Stück bei seiner Uraufführung 1889, bei der Geburt des Naturalismus', für einen Aufruhr ausgelöst haben muss.

Sechs der sieben Darstellenden stehen zu Beginn an der Rückwand, die einige Meter vom himmelblauen Bühnenkasten entfernt ist. Dann treten sie nach vorne, die Wand fährt ebenfalls vor, es rummst, der leere Kasten ist geschlossen, alle Insassen gefangen. Später kommt aus dem Publikum noch Alfred (Philipp Quest) dazu, der Jugendfreund von Thomas (Guido Wachter). Alfred ist bei einem linken Wochenblatt, trägt einen schicken Anzug am Leib und Phrasen vor sich her, er ist feige und genauso korrumpiert wie Thomas, hält sich aber immer noch für einen Idealisten. Seine Auseinandersetzung mit Thomas, dem Erfolgreichen, der sich in einer rechten Partei engagiert, gerät Palmetshofer leider seifig und geschwätzig, aber die beiden Schauspieler kämpfen emphatisch-rhetorisch toll miteinander.

Egon ist der Familien- und Firmenchef, übergibt den Laden an Thomas und säuft - Gero Nievelstein spielt Egons selbstempfundene Nutzlosigkeit prima. Seine zweite Frau Anni ist schön, umtriebig, laut, und Susanne Berckhemers Clinch mit dem versoffenen Gatten ist eine grandiose Szene. Die jüngere (Stief-)Tochter Helene sucht einen Sinn und Inga Behring erschafft die wärmste Figur des Abends. Leuchtend begibt sie sich in eine Liebe mit Alfred, doch der haut ab, weil er befürchtet, sie könnte die familiäre Neigung zur Depression erben. Da ist Palmetshofer nah am Original, aber nichts in seinem Text taugt als pathologische Studie: Die Depressive ist die hochschwangere Martha (Denia Nironen), Thomas' Gattin und Helenes ältere Schwester, die einfach nur imposant garstige Launen hat. Und nicht auf den nüchternen Arzt, Robert Herrmanns, hören will.

Teufel schafft ein hartes, am Ende pathetisches, überlanges Familienrequiem. Mit tollen Darstellern.

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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