Theater:Mehr sterben als lieben

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Als Amme ist Trajal Harrell selbst Fixpunkt seiner "Juliet & Romeo"-Inszenierung an den Kammerspielen. (Foto: Orpheas Emirzas)

Aus "Romeo und Julia" wird "Juliet & Romeo": Der US-amerikanische Tänzer und Choreograf Trajal Harrell inszeniert Shakespeares Teenie-Drama an den Kammerspielen

Von Rita Argauer

Zwei Teenager, die sich in pubertärer Emotionszerrüttung das Leben nehmen, haben dramatisches Potenzial. Die bedingungslose Liebe und deren Aussichtslosigkeit fasziniert und bildet so auch die Grundlage für die wahrscheinlich bekannteste Liebes-Tragödie der Welt. Dass der US-amerikanische Tänzer und Choreograf Trajal Harrell nun aber ausgerechnet Shakespeares "Romeo und Julia" als Vorlage für seine Debüt-Produktion an den Münchner Kammerspielen auswählte, verwundert. Harrell ist eher für seine dekonstruktiven Gender-Auffassungen bekannt, als dass man ihm die Faszination für so ein süßes Hetero-Teenie-Drama zutraut.

"Romeo und Julia gehört nicht zu meinen Lieblingsstücken", erklärt er dann auch entsprechend. Doch genau das hätte ihn auch gereizt. Denn wenn man etwas nicht so sehr mag, dann ist es einfacher, den Stoff freier und experimenteller zu benutzen. Zudem sei die Geschichte so bekannt, dass die Zuschauer wissen, um was es geht; auch wenn er die Geschichte nicht werkgetreu nacherzähle. Unter dem verdrehten Titel "Juliet & Romeo" hat er den Fokus mehr auf das Sterben als auf das Lieben der Teenager gelegt.

Es ist das erste Mal, dass Harrell ein Stück für ein Ensemble-Theater entwickelt. Davor habe er erst einmal Respekt gehabt: "Ich bin es gewohnt, alleine zu arbeiten und meine Stücke allein zu produzieren", sagt er. Die Vorstellung, dass während den Proben so viele Menschen - die Bühnen- und Kostümbildner, Dramaturgen und all deren Assistenten - anwesend sind, habe ihn abgeschreckt. Mittlerweile wisse er die Hilfe, die er von all diesen Theatermitarbeitern bekomme, jedoch sehr zu schätzen, sagt Harrell.

An einem Theater und mit einem Theaterstück als Grundlage zu arbeiten, das hat ihn hingegen von Beginn an gereizt. "Eigentlich komme ich ja aus dem Theater", erzählt Harrell, zu High-School-Zeiten habe er Theater gespielt, mit dem Tanzen habe er erst nach dem College begonnen. In den vergangenen Jahren hat er jedoch vermehrt an Museen gearbeitet und Arbeiten etwa für das MoMA in New York entwickelt. Es ist also auch eine Art Rückkehr für ihn, wenn er nun für die Kammerspiele in gewisser Weise ein Theaterstück inszeniert; wenn auch in einer Ästhetik, die an deutschen Stadttheatern nicht die Regel ist.

Harrell gastierte bereits im vergangenen Mai innerhalb des Dance-Festivals mit seinem Stück "Caen Amour" an den Kammerspielen. Generell integriert er das Voguing, ein Tanzstil der sich in der schwulen New Yorker Subkultur der Siebzigerjahre entwickelte, in den zeitgenössischen Bühnentanz. Dabei vertritt er sowohl die Auffassung, dass jeder Mensch tanzen könne, als auch ein ästhetisches und performatives Durchwirbeln klassischer Geschlechterrollen. Dementsprechend stehen nun in Harrells Version von Shakespeares Liebesdrama nur Männer auf der Bühne. Die Besetzung, die sich aus Tänzern, mit denen er schon öfter zusammenarbeitete und Kammerspiel-Schauspielern zusammensetzt, sei für ihn ein Experiment. Doch es geht ihm nicht darum, eine Travestie-Show aufzuführen. Vielmehr interessiert ihn, wie normal das etwa zu Shakespeares Zeiten gewesen sei, dass Männer in Frauenrollen auftreten, ohne, dass der Geschlechtertausch dabei die Camp-Attitüde in sich getragen habe, die solche verdrehten Besetzungen heute oft ausstrahlen.

Mit Camp, also der ästhetischen Haltung, die Susan Sontag einst aus eben jener schwulen New Yorker Subkultur heraus analysierte, kennt sich Trajal Harrell jedoch aus. Er benutzt Voguing, also den Tanzstil dieser Szene, der das Laufen von Models auf dem Catwalk imitiert, als Markenzeichen. Das entspreche jedoch einfach mehr seiner Auffassung von postmoderner Tanzästhetik, als dass es für ihn noch zwangsläufig gesellschaftspolitisch sei.

In seiner Romeo-und-Julia-Adaption setzt er dem Voguing zudem noch einen anderen Tanzstil entgegen: den japanischen Butoh-Tanz. Dieser führt auch zu Harrells eigentlichen inhaltlichen Interesse an Romeo und Julia. "Im Butoh-Tanz liegt ganz viel Tod", sagt er. Und der Tod der Teenager ist sein dramaturgischer Angelpunkt. Unerklärlich ist für ihn etwa das schnelle Ende des Stücks: "Die beiden begehen Suizid und zwei Seiten später ist das Stück zu Ende und die Familien legen ihre Fehde bei, in so kurzer Zeit, das verstehe ich nicht", sagt er.

Trajal Harrell konzentriert er sich in seiner Version genau auf diese letzten Seiten des Stücks und erzählt das, was zwischen dem Tod und der Versöhnung passieren könnte. Dennoch ist er weit entfernt davon, hier irgendetwas dramaturgisch weiter zu spinnen. Viel wichtiger ist es ihm, Gefühle und Eindrücke zu vermitteln, die das Publikum erspürt und nicht erdenkt. Deshalb gibt es auch keine festgelegten Rollen: Jeder spielt und tanzt jeden. Außer Harrell selbst. Er tanzt die Amme, die einzige Figur, die als Fixpunkt fest bleibt.

Juliet & Romeo ; Uraufführung am Mittwoch, 25. Oktober, 20 Uhr, Kammerspiele, Kammer 2, Falckenbergstraße 1

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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