Theater:Joints und Stützstrümpfe

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"Wollen Sie mal ziehen?" Driss (Peter Marton, links) verführt den missmutigen Philippe (Sigmar Solbach) mit allerhand weltlichen Genüssen. (Foto: Marcpierre)

Vorstadt-Proll trifft Adeligen: "Ziemlich beste Freunde" war im Kino ein großer Erfolg. Nun ist die Geschichte von zwei ungleichen Männern in der Komödie im Bayerischen Hof zu sehen

Von Christiane Lutz

Wer in die Komödie im Bayerischen Hof geht, möchte nicht durch überbordende Regie-Konzepte von der eigentlichen Geschichte abgelenkt werden. Der Zuschauer dort liebt die gute, leichte Unterhaltung: Paare, die sich finden, Streitende, die sich versöhnen nach Irrungen und Wirrungen. Ein Häuchlein Sozialkritik darf aber schon vorkommen, wie beispielsweise in der neuen Produktion des Hauses, "Ziemlich beste Freunde", inszeniert von Pia Hänggi. Falls irgendjemand den gleichnamigen Film nicht gesehen hat: Es geht in "Ziemlich beste Freunde" um den vom Hals abwärts gelähmten, wohlhabenden Philippe, der einen Pfleger aus den Pariser Banlieus einstellt. Wohlstand prallt auf Prolligkeit, Klassik auf Hip-Hop. Der eine hat nichts und weiß nicht, wohin mit seiner Vitalität, der andere hat materiell alles, und kann sich aber keine Gesundheit kaufen. So ergänzen sie sich auf wundersame Weise. Die soziale Kluft zwischen ihnen kümmert die beiden irgendwann nicht mehr, Driss und Philippe werden, genau, "ziemlich beste Freunde."

Die Theateradaption wird so gern gespielt, weil die Geschichte der beiden Männer, die zudem noch auf einer wahren Begebenheit beruht, komisch und tragisch zugleich ist. Und genau da liegt auch die Herausforderung an Regie und Schauspieler: Komik und Tragik den Raum zu geben, den sie brauchen. Denn Philippes innerer Befreiungsprozess funktioniert nur, wenn sein desolater Zustand vorher als solcher deutlich wird. Driss' Wandlung vom Kleinkriminellen zum halbwegs artigen Angestellten ist nur glaubhaft, wenn klar ist, woher er kommt. Pia Hänggi aber verlässt sich hauptsächlich auf Situationskomik von "wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden"-Witzen, gerichtet an den Gelähmten, und tut sich schwer, die dunklen Momente auch richtig dunkel sein zu lassen. Auf die Ausführung von Driss prekären Familienverhältnissen wird zu Gunsten von ein paar mehr Jokes verzichtet. Dabei wäre Peter Marton als Driss sicher in der Lage gewesen, die Sorge um den Bruder und den Streit mit der Mutter glaubhaft rüberzubringen. Auch Sigmar Solbach, der für seine Rolle als Tetraplegiker auf seinen Körper beinahe komplett verzichten muss, gelingt es bisweilen nicht, seiner Figur die nötige Ernsthaftigkeit zu verleihen. Sein Philippe ist stets einen Hauch zu ironisch, so dass man selbst in den Momenten, in denen er unter Spasmen zuckt, nicht sicher ist, ob er gerade scherzt.

Die gute Nachricht: Der Abend funktioniert natürlich trotzdem. Auch ohne die Extraportion Tragik ist Peter Marton als Driss ein amüsanter, nassforscher Womanizer, der wie ein Flummi über die Bühne hüpft und Philippes schnöde Geburtstagsparty mit ein paar Beats von Dr. Dre aufpeppt. Auch ein paar subtil-komische Momente gelingen, wenn zum Beispiel der steife Krankenpfleger (Armin Riahi) umständlich versucht, Philippe mit einem Strohhalm Whiskey zu verabreichen. Damit demontiert er nicht nur sich selbst, sondern macht auf bestechende Weise klar, mit wie viel Unbeholfenheit Behinderte tatsächlich ständig konfrontiert sind.

Das edel eingerichtete Wohnzimmer von Philippes Großstadt-Wohnung genügt auch in der Komödie als dankbares Setting. Wilde Autojagden oder Paragliding-Szenen, wie sie im Film vorkommen, vermisst man nicht. Es ist eine Geschichte, die ohnehin zwischen den beiden Menschen stattfindet, egal, wo diese sich befinden. Um ihre Freundschaft zu verstehen, braucht "Ziemlich beste Freunde" im Grunde nicht einmal den mächtigen Rollstuhl, den Sigmar Solbach allerdings sehr souverän mit dem Kinn über die Bühne manövriert.

Ziemlich beste Freunde , noch bis 7. Mai, mehrmals wöchentlich, Komödie im Bayerischen Hof, Promenadeplatz 6, 29 16 16 33

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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