Theater:Hörner schallen aus dem Wald

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David Marton gelingt für die Münchner Kammerspiele eine zauberhafte Inszenierung von Bellinis "La Sonnambula".

Von Egbert Tholl

Jetzt ist es passiert: Die Münchner Kammerspiele haben ihre erste rundum gelungene Inszenierung herausgebracht, seit Matthias Lilienthal dort Intendant ist. Interessanterweise ist es keine Schauspielproduktion, sondern Oper: David Marton nahm sich im Werkraum, also der kleinsten der drei Bühnen des Hauses, Vincenzo Bellinis "La Sonnambula" an.

Ein bisschen war diese Premiere so etwas wie eine vorläufig letzte Chance gewesen. Denn nun hat man alle Bestandteile des Lilienthal-Theaters beisammen, und hätte auch dieser Ausflug ins Musiktheater in die Irre geführt, man hätte nur noch rätseln können, wo das alles hinführen soll. Hatte man doch in den vergangenen knapp vier Monaten arrivierte Regisseure scheitern und junge hilflos herumtappsen sehen und dabei trefflich beobachten können, dass die Synthese von Ästhetiken und Arbeitsweisen der freien Szene mit Resten eines Stadttheaterbetriebs ein recht fragiles Ansinnen ist (SZ vom 30. Januar).

Vielleicht hat ja nun Martons zauberhafte Arbeit jene Strahlkraft, die man sich für die Kammerspiele ersehnte und die zurückwirken möge ins Theater selbst. Auch wenn er im Grunde hier nur das fortsetzt, was er vor mehr als zehn Jahren begonnen hat. Marton, der gebürtige Ungar, einst Bühnenmusiker bei Castorf und Marthaler, studierter Pianist, Dirigent und Regisseur, kann sich offenbar nicht entscheiden, was er machen will, Oper oder Schauspiel. Also wählte er für sich einen Sonderweg: Er macht beides, und zwar gleichzeitig. Je stärker dabei die Stoffe sind, derer er sich annimmt, desto schöner und tiefer das Ergebnis. Inszeniert er einen romantischen Liederabend wie einmal am Schauspiel Stuttgart, erinnert das Ergebnis doch arg an seinen Lehrmeister Marthaler und die sanft aus der Spur getragene Wesenhaftigkeit von dessen Figuren. Macht er Wagners "Rheingold" - das war in Dresden - erzählt und erklärt er auf eigenwillige Art das Werk neu, dass es eine Pracht hat.

Nun also Bellinis "Sonnambula", ein musikalisch grandios gebautes, mit aller Verstiegenheit des Belcanto durchkonstruiertes Stück, in dem es um annähernd nichts geht. Die Oper spielt in einem Schweizer Dorf, in einem elegischen Idyll, die Hörner schallen aus dem Wald, auch bei Marton, denn die Ouvertüre kommt vom Band - ein Orchester indes würde in den Werkraum nicht hineinpassen. In dieser Idylle soll geheiratet werden, die Oper beginnt und Amina und Elvino verloben sich. Als einzige nicht begeistert davon ist die Wirtin Lisa, weil die mal in Elvino verliebt war, nun zwar einen Verehrer hat, den aber nicht so recht mag. Da taucht ein Fremder auf, Rodolfo, der bald als verschollen geglaubter Sohn des verstorbenen Grafen identifiziert wird, heftig mit Lisa zu flirten beginnt, dabei aber von der schlafwandelnden Amina gestört wird. Lisa flieht, und Amina legt sich auf Rodolfos Sofa schlafen, wo sie von der Dorfgemeinschaft entdeckt wird, die sich aufmachte, dem Gutsherrn zu huldigen. Die Folge: Skandal, Elvino eifersüchtig, Verlobung gelöst. Doch Rodolfo, der sich mit Schlafwandlerei auskennt, und ein abermaliger, somnambuler Auftritt Aminas lösen jede Verwirrung auf, und es gibt ein schönes Happy-End.

Vielleicht wird das Theater mit Marton zumindest das beste kleinste Opernhaus der Stadt

Es wäre ein Leichtes, diese Handlung und den Koloraturenwahnsinn des Belcanto zu ironisieren. Aber David Marton tut das nicht. Er erzählt die Oper, in Gänze, und braucht dafür sechs Leute. Die japanische Sopranistin Yuka Yanagihara, die fabelhaft Aminas Arien singt und reichlich Erfahrung mit Martons Arbeiten hat, so dass sie ungerührt mit performativem Sein den Schein des Gesangs unterfüttert. Jelena Kuljic, Ensemblemitglied seit Lilienthal, auch Marton-erfahren und eine strahlende Jazz-Sängerin; Paul Brody, fabelhafter Trompeter, der hier als sehr britisch anmutender Rodolfo herumirrlichtert und alles, was seine Figur sänge, mit der Trompete spielt. Ein zweites Ensemblemitglied ist dabei, Hassan Akkouch, ein inbrünstig liebender Elvino, und schließlich gibt es zwei Musiker. Der eine, Daniel Dorsch, bastelt aberwitzig brillant elektronische Sounds und Loops, der andere, Michael Wilhelmi, bedient alles, was Tasten hat, Flügel, Hammond, Spinett und erzählt schrullige Sachen über Liebesmotormaschinen, Projektionsflächen und Selbstverliebtheit, die er immer dann, wenn sie zu nerven beginnen könnten, abbricht mit dem Hinweis, darüber müsse er noch mal nachdenken.

Man trifft sich in Lisas (Kuljic) reizend hingezauberter Kneipe, darin steht auch ein rätselhafter Glaskubus mit Sand, Wüstengewächsen und einem Plattenspieler, auf dem - reines Zauberkunststückflunkern - eine alte Aufnahme der Oper mit der Callas abgespielt wird. Hört man später Elvinos Arie der großen Liebestraurigkeit, wird der nicht sangesbegabte Akkouch den Plattenspieler kosen, verliebt in die eigene Larmoyanz, onanistisch das eigene Gefühl feiern.

Das wäre so ein Moment, wo eine Ironie durchscheint. Aber viel mehr ist es die Erweckung des wahren Gehalts dieser Arie. Überhaupt sind zwei Momente hier phänomenal: Erstens, wie Marton im plastischen, dreidimensionalen Opernlicht von Arndt Rössler die Figuren und ihre Träume miteinander verbindet, jede Konstellation, jedes Handeln in Wehmut und Sehnsucht plausibel macht, wobei auch die Grenzen zwischen Darsteller und Darstellung diaphan werden. Und zweitens: die Musik. Etwa so: Man hört die Callas, Yanagihara übernimmt live deren Gesangslinie, Wilhelmi spielt Klavier, wechselt zu Variationen, auch rausgehört aus Bellinis Volkmusik-Adaptionen, Kuljic setzt ein, überführt das Material der Arie in den Jazz, Brody improvisiert - und dann geht das Ganze wieder zurück.

Verblüffenderweise entzieht Marton so der Oper ihre Künstlichkeit, und wenn dann noch Akkouch Dias aus seiner Heimat zeigt, dreht sich das Kaleidoskop aus Poesie und der Erkenntnis wahrer Gefühle noch einmal eine Runde weiter. Vielleicht kann man bemängeln, dass in "La Sonnambula" nur zwei Ensemblemitglieder dabei sind, aber erstens ist letztlich Kuljic die beherrschende Figur des Abends - trotz Wilhelmis und Yanagiharas Meisterschaft - und zweitens braucht man halt Gäste, will man Oper haben. Marton macht übrigens weiter an den Kammerspielen - vielleicht werden die so immerhin das beste kleinste Opernhaus der Stadt.

© SZ vom 01.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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