Vielfalt ist bei Jan Philipp Gloger Trumpf. Der neue Schauspieldirektor will den Nürnbergern neben Klassischem auch eine Menge anderer Formen und Formate präsentieren. "Import/Export" nennt sich eine Reihe, die dreimal in dieser Spielzeit jeweils ein ganzes Wochenende lang einen Kontinent oder ein Land in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. Aber nicht nur aus unserer Sicht. Stattdessen sollen Gastspiele für eine bereichernde Blickumkehr sorgen und so unseren nicht selten eingeschränkten Horizont erweitern.
Wie lohnend das sein kann, bewies nun gleich das erste internationale Wochenende mit dem Schwerpunkt (West-)Afrika. Zu hören waren Vorträge unter anderem zur deutsch-afrikanischen Kolonialgeschichte. Im Zentrum indes standen zwei Theaterstücke, die sich auf faszinierende Weise gegenseitig spiegelten: Auf Philipp Löhles gut geölte Globalisierungskomödie "Das Ding" (eine Übernahme der 2011 am Hamburger Schauspielhaus unter der Regie von Gloger uraufgeführten Inszenierung und noch während der gesamten Spielzeit zu sehen) antworteten Schauspieler aus Guinea, Kamerun und der Elfenbeinküste mit der Szenencollage "Das Dong".
Löhle, seit dieser Saison Hausautor am Staatstheater, schwebte schon seit langem eine afrikanische Antwort auf sein Stück vor, das anhand der Reise einer Baumwollflocke von Afrika über China bis nach Deutschland die Mechanismen der Globalisierung aufzeigt und dabei gleich noch deutsche Eheneurosen verhandelt. Dabei hat Löhle gar nicht erst versucht, auf eine eurozentristische Perspektive zu verzichten. Im Gegenteil: Er hantiert munter mit Klischees - alle Afrikaner sind arm, alle Chinesen Arbeitsameisen -, was nicht nur den Großteil der Komik ausmacht, sondern auch hübsch entlarvend ist.
Auf der Suche nach einem Pendant suchte Philipp Löhle den Kontakt zum Festival "Les Récréâtrales" in Burkina Faso. Zweimal hielt er dann zuletzt in Ouagadougou mit westafrikanischen Autoren und Schauspielern Workshops ab. Das Ergebnis: das von vier Autoren verfasste "Das Dong", das allein formal Bezug nimmt aufs "Ding". Hier wie dort kaum Requisiten, und während bei Löhle vier Männer und eine Frau auf der Bühne stehen, sind es bei dem afrikanischen Kollektiv vier Frauen und ein Mann.
So war es zumindest noch bei der "Dong"-Uraufführung im Rahmen der zehnten "Récréâtrales"-Ausgabe vor wenigen Wochen. Die Darstellerin aus Burundi allerdings erhielt nun für das Gastspiel in Nürnberg kein Visum, weshalb die anderen Akteure das Stück innerhalb kürzester Zeit umarbeiten mussten. Wer dies nicht weiß, wird es bei der Aufführung in den Kammerspielen auch nicht bemerkt haben, so geschickt waren die vier Szenen miteinander verwoben. Vor allem aber war das französischsprachige und deutsch untertitelte Spiel von Yolande Pehe, Aminata Toure, Hermine Yollo und Moussa Doumbouya von solch spürbarer Dringlichkeit, dass im Vergleich dazu Löhles "Ding" trotz flotter Inszenierung ziemlich nett und brav wirkte.
Meint das Ding konkret die Baumwollflocke, ist das Dong abstrakter zu verstehen. Es steht für die Freiheit, und in jeder Szene symbolisiert es eine andere Art von Freiheit: Die Freiheit der Frau, der Presse, des Volkes ... Allesamt bedroht oder gar nicht erst vorhanden. Basierend auf wahren Begebenheiten sieht man dann etwa die tödlich endende Vergewaltigung einer Frau, die Ermordung eines Journalisten sowie einen friedlichen Umsturzversuch, wie es ihn nicht zuletzt in Burkina Faso 2014 wirklich gegeben hat. Während man bei Löhle häufig aufgrund der von Schauspielern wie Anna Klimovitskaya und Tjark Bernau furios ausgespielten Wortkomik spontan auflachen muss, bleibt einem beim "Dong" das Lachen letztlich immer im Halse stecken. Import/Export wird im März, und so noch vor den Europa-Wahlen, mit dem Gastland Tschechien zum Thema "Grenzen der Nachbarschaft" fortgesetzt. Im Juni folgt das dann (wohl) aus der EU ausgetretene Großbritannien. Titel: "Verlorenes Europa". Für Brisanz und lebhafte Debatten ist also hier wie da gesorgt.
Das Ding , div. Termine, u.a. Fr., 23. Nov., 19.30 Uhr, Staatstheater Nürnberg, Kammerspiele