Theater:Ein Ende, aber auch ein Anfang

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Sie verkohlt sie alle: Angelika Fink in ihrer finalen Selbstermächtigung "Angie vs. Marshmallows". (Foto: Kai Schmidt)

Jörg Wittes wundersamer "Großer Abschied" und Angelika Finks radikal-persönliche Anklage beim "Monolog-Festival": Mit zwei sehr unterschiedlichen Produktionen sagen die beiden langjährigen Theatermacher dem Pathos in München Adieu

Nach München kam Jörg Witte 2001. Inzwischen lebt er in Berlin. Dazwischen liegen 17 Jahre Pathos. Nicht als Gefühl, sondern als Theater. Eigentlich sind es viel weniger 17 Jahre, denn Witte gab die Leitung des Pathos schon viel früher ab, und Angelika Fink leitete es alleine weiter, aber irgendwie war er immer noch da, obwohl er weg war, da könnte man fast pathetisch werden. Endgültig geht mit dem Jahr 2018 die Ära Witte/Fink respektive vor allem Fink zu Ende, eine Ära, in der viel passiert ist, in der ganze Heerscharen von Schauspielern und Performern hier aufgetreten sind, von denen einige an den Staatstheatern oder im Kino gelandet sind.

Nur die Orte sind gleich geblieben, erst das alte Pathos allein, dann kam das Schwere Reiter hinzu. Andere Spielstätten wurden hier erfunden und verschwanden wieder, die Falckenberg-Schule, die Ausweichspielstätte der Kammerspiele, die Jutierhalle, aus der vielleicht ja doch noch einmal ein Zentrum des Kreativquartiers wird. Zwischen Schwere Reiter und Pathos gibt es heute viel, was es 2001 nicht gab, aber vieles ist halt auch weg. Wie eben Witte selbst, der viele Jahre lang, bis es einfach nicht mehr ging, der Hausherr des institutionalisierten Provisoriums war und nun noch einmal zurückkehrte, mit der Show, die "Der große Abschied" heißt.

Er und Sophie Engert durchmessen das Schwere Reiter als Raum der Erinnerung. Das Alte Pathos wäre dafür zu klein, außerdem hatte Engert hier drinnen das Vorsprechen an der Falckenberg-Schule. Von hier war Jörg Witte schon mal zur Dachauer Straße vorgelaufen und hatte Passanten gefragt, ob sie Theater schauen wollten. Jetzt. Oder: Nachmittags spielte Witte im "Sturm" an den Kammerspielen im ausverkauften Schauspielhaus, abends im Keller des Pathos' "Zement" zusammen mit Anastasia Papadopoulou vor einer Zuschauerin, Barbara Romaner. Darüber spricht er jetzt mit dem ihm eigenen Witte-Lachen, aber es ging auch anders zu hier. Voll.

Aber zurück zum "Abschied". Engert und Witte tanzen einen Pas de Deux durchs Leben, fahren mit dem Chattanooga Choo Choo auf Geschichtsgleisen entlang, zwischen Ost und West. Engert stammt aus Blankenese, aber vom Vater her war noch Familie in Chemnitz (Karl-Marx-Stadt). Wenn sie die besucht haben, war das Auto randvoll mit Kaffee, der dann gleich weggesperrt wurde. Zum Trinken bekam die Mischpoke aus dem Westen die Ost-Plörre.

Witte schaltet sich ein, "spielt" Engerts Vater. Ist es der Vater? Chemnitz, HJ, Itzehoe, Bühnenbilder, nie daheim. Und er sinniert für sich über "Vaterland", für ihn ein Begriff ohne Grandezza. "Meine Heimat war die DDR." Gibt es auch nicht mehr, auch wenn die beiden nun in Pankow wohnen, Carl-von-Ossietzky-Straße, das ganze Haus voller Schauspieler und die herrschaftliche Straße führt zum Schloss und zum ehemaligen Gästehaus der DDR.

Es ist ein wundersamer Abend über die Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Vergangenheit, der flirrend bei Johannes von Tepl landet. Der schrieb um 1400 den "Ackermann", der mit dem Tod am Sterbebett seiner Frau diskutiert. Wie kommt man nun von der Geschichte des Pathos zu einem Buch, das den Humanismus erfindet? Weil der Ackermann keinen Abschied will. Da kann man nun überlegen, wie groß Wittes "Großer Abschied" ist. Egbert Tholl

Abschiednehmen ist ein einsames Geschäft. Doch Angelika Finks Abschied hat den Neuanfang bereits mit an Bord. Sie und die neuen Pathos-Leiterinnen Judith Huber und Lea Ralfs teilen sich ein "Monolog-Festival": Einen Frauenabend im Pathos nach dem Paartanz im Schwere Reiter, bei dem Jörg Witte scheinbar verdutzt feststellte, dass seine Frau zuhause am Esstisch in der Ecke sitzt. Hier aber sitzt keine in der Ecke. Hier thront Susanne Schroeder als Königin mit Gummihandschuhen in einem weißen Plastikfolienmeer, das sie sich zur Robe zusammenrafft: Eine trashige Majestät, die an diesen Ort bestens passt. Sie sollte von Mutterschaft sprechen, spricht aber über die Gründe, aus denen sich das nicht (mehr) lohnt. Das Sprechen. Vielleicht auch die Mutterschaft? Derweil lehnt Judith Huber lässig rauchend an den charakteristischen Säulen ihrer künftigen Wirkungsstätte. Die Schauspielerin ist eine der wenigen großen Überlebenskünstlerinnen der Münchner freien Szene, die hier für Konzept und Regie verantwortlich zeichnet und als Dienerin der launischen Mylady schon "die Hundestaffel losschickt". Denn irgendwas ist im Anzug. Wohl eine dieser praktischen Katastrophen, die einem Notstandsgesetze erlauben und das politische Tagesgeschäft abnehmen?

Diesem assoziationsoffenen Intro folgt eine Metabetrachtung des ehelichen Missbrauchs im Hause Effi Briests, mit der die junge Regisseurin Lea Ralfs den moralischen Raum zwischen 1896 und heute vermisst. Julia Angeli schmeißt sich als "FiFi Biest" frisch und frech hinein. Es steckt aber zu viel explizite feministische Denkanweisung in diesem Monolog, um Nachhall zu erzeugen. Und dann zum Schluss: "Angie vs. Marshmallows", eine finale Selbstermächtigung Angelika Finks, die mit Erinnerungen an ihre älteren Schwestern beginnt, die der kleinen Angie den Glauben ans Christkind dekonstruierten, und mit anderen "Lustkillern" und "Verhinderern" weitergeht, die Finks Patentochter "Marshmallows" schimpft.

Alle kriegen ihr Fett weg, der Ex-Mann und Ex-Mit-Theaterleiter, der "Kultur-Dings", der bei ihr so altväterlich lacht wie der Weihnachtsmann, als er ihr 2007 das Pathos alleine überträgt: "Wenn sie sich das zutrauen, hohoho". Der Mythos von der Solidarität unter Künstler-Kollegen, die Kritiker, die fragen, "Was machst du eigentlich die ganze Zeit?", die Kammerspiele als selbsternannte Interimsspielstätte der Szene und und und. Es ist eine sehr persönliche, aus tiefen Verletzungen geborene feministische Erzählung, die Fink gemeinsam mit Barbara Balsei so klug strukturiert hat, dass sie nicht zum Lamento gerät. Eine Geschichte des Verraten-, Verlassen-, Unterschätzt-, Verschwiegen- und Ersetztwerdens, mit Würde, aber noch sehr aus der Nähe erzählt.

Sicher gibt es andere Wahrheiten über die Zeit, in der Angelika Fink und das Pathos eins waren; das ist aber jetzt mal ihre. Und um sie überhaupt als wahr behaupten zu können, schmeißt sie sich in Männerpose und lobt eine Assistentin gönnerhaft für Nichtigkeiten (und ihr Aussehen!). Es folgen Bilder aus den vergangenen Jahren voller langer Tische, kurzer Festivals, wechselnder Kooperationen und noch unverbrauchter Energien, die einen wehmütig machen. Doch der Abschied ist ja ein neuer Anfang. Sabine Leucht

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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