Theater:Ein Aufrechter unter Narren

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Die Welt ist aus den Fugen und ein barockes Jammertal: "Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch" am Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater.

Von Florian Welle

Als Simplicius von einem Einsiedler aufgenommen wird, hat er nicht einmal einen Namen. Der Einfältige, das passt also. Ehre Gott und hüte dich vor schlechter Gesellschaft, rät der Waldmensch dem Schützling. Als er stirbt, zieht Simplicius in die Welt. Die ist komplett aus den Fugen geraten. In Europa herrscht Krieg, 30 Jahre lang. Und gute Menschen sind weit und breit nicht zu sehen. Simplicius wird zum Narren gehalten, wie auch er die Welt zum Narren hält. Denn er ist alles andere als tumb. Schließlich kommt heraus, dass der Einsiedler sein Vater gewesen ist, ehemals ein Adeliger. Simplicius, der eigentlich Melchior Sternfels von Fuchshaim heißt, kehrt dem barocken Jammertal den Rücken. Und findet doch nie zur Ruhe.

Fünf Bücher und unzählige Kapitel ist "Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch" von Grimmelshausen lang. Wohl 1668 ist der schelmisch-lässige Abenteuerroman herausgekommen, das Regieteam Goldfarb & Quarg hat ihn zu den Calderón-Spielen als Freiluftspektakel inszeniert. Und dabei den Geist der Vorlage so gut es geht eingefangen: Die Aufführung ist zotig, albern, lüstern, chaotisch. Und sie hat bei aller breit ausgestellten Unterhaltung, die ein Freilufttheater nun mal dem Publikum bieten muss, als Mehrwert einen ernsten Kern: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Goldfarb & Quarg, das sind Tobias Goldfarb, seine Frau Laura und Lisa Quarg. Während die beiden Frauen, die auch als Schauspielerinnen u.a. am Deutschen Theater in Berlin tätig sind, in allen Inszenierungen für tänzerisch-physische Elemente sorgen, ist Tobias Goldfarb für den Text verantwortlich.

Beata Kornatowskas Rostrumpelbühne ist Kontrast zum Architekturensemble. (Foto: Martin Kaufhold)

In Bamberg hat Beata Kornatowska dem Team eine zweigeschossige Rostrumpelbühne mit allerhand Marketender-Plunder in den allein schon sehenswerten, von Fachwerk und Laubengängen umrahmten Innenhof der Alten Hofhaltung gestellt. Das ergibt einen schönen Kontrast zu dem malerischen Architektur-Ensemble, das noch zusätzlich gewinnt, wenn man seinen Kopf von der Bühne weg ein wenig nach links wendet. Dann blickt man direkt auf den imposanten Bamberger Dom, der, bei ein bisschen Glück, in ein goldenes Abendlicht getaucht ist. Allein die Spielstätte lohnt den Besuch.

Beata Kornatowska hat aber nicht nur die Bühne gebaut, die für allerlei boulevardeske Auf- und Abtritte gut ist, sondern zudem das Ensemble in überbordend floral glitzernde Fantasiekostüme gesteckt, die Anleihen beim Barock nehmen, Allongeperücke inklusive. Dazu wird dann schon mal der Hit "Das Model" von Kraftwerk eingespielt. Alles ein bisschen Gaga also.

Bertram Maxim Gärtner ist Simplicius und hier der Star innerhalb eines gut aufgelegten Ensembles. Gärtner gibt den Vagabunden als einsamen, innerlich zerrissenen, später dann auch äußerlich abgerissenen Jüngling auf der Suche nach seinem Platz in einer verrückt gewordenen Welt. Spielt Rollenbilder durch, trägt mal "Schalkshaut unter der Kalbshaut", mal Frauenkleider. Er ist der polternde Jäger von Soest, stürzt ab, plündert, hurt. Und ist doch unter all den dümmlichen Herrschern, sexgierigen Frauen und schmierigen Soldaten am Ende der einzig Aufrichtige. Weil er etwas besitzt, was die anderen nicht haben: Die Fähigkeit zur Selbstreflexion.

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Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch, 13.-17. Juli, 19. Juli, 21.-23 Juli, E.T.A.-Hoffmann-Theater Bamberg

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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