Theater:Die Schönheit flüchtiger Momente

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Lasst die Nebel wallen: "Girl from the Fog Machine Factory". (Foto: Sandra Then)

Thom Luz' "Girl from the Fog Machine Factory" zu Gast an den Kammerspielen

Von Egbert Tholl, München

Wenn es die Nebelmaschine noch nicht gegeben hätte, Thom Luz hätte sie erfunden. Aber es gibt sie schon lange, weil: "Wenn die Regie nicht weiterweiß, greift sie gern zu Trockeneis." Alte Theaterweisheit, trifft aber auf Thom Luz nicht zu; dessen Verhältnis zu vom Nebel umwölkten Vorgängen auf dem Theater ist ein viel fundierteres, es basiert auf tiefster Poesie. Und herrlicher Spielerei. In "Girl from the Fog Machine Factory" machen fünf Menschen auf der Bühne sehr viele sehr zauberhafte Sachen; auf dem Weg zum Theatertreffen gastierte die Produktion, die im Mai 2018 an der Zürcher Gessnerallee herauskam, nun an den Münchner Kammerspielen - man ist seit Langem auf Tour.

Also, es ist so: Die Nebelmaschinenfabrik ist pleite, was an sich verwundert, hieße dies doch, dass allen Regisseuren nun auf einmal stets etwas einfällt. Aber es ist nun einmal so, jetzt gibt es sozusagen "Fog For Sale", womit aber das kreative Potenzial der Fabrik nicht entsprechend gewürdigt wäre. Das fühlt auch deren Chef, Samuel Streiff, der mit sanfter Wehmut einen Rundgang zu den zahlreichen Utensilien in der Spielhalle unternimmt. Kleine, kleinste und große Maschinen nebeln vor Freude. Zuvor hörte man aus dem Off einen sehr schönen A-capella-Gesang über etwas, was schon sehr lange her ist.

In einer Fabrikhalle, in der etwas hergestellt wurde, was nun offenbar niemand mehr braucht, kann man viel ausprobieren. Zum Beispiel das tun, was Mara Miribung und Mathias Weibel machen: Sie halten Cello und Geige an weiße Standventilatoren, die eigentlich dafür da sind, Nebel so geordnet wie halt möglich zu verteilen. Klingt dann ein bisschen wie Hackbrett. Der Umstand, dass Nebel macht, was er will, ein anarchisches Moment verkörpert, wird dann besonders lustig, wenn das Mädchen im dunkelroten Kleid auftaucht, Fhunyue Gao. Denn nun will jeder den schönsten Nebel machen, herrliche, flüchtige Skulpturen entwerfen, um sie zu beeindrucken. Dabei ist sie ganz praktisch, tauscht im Nebel Kleid gegen Blaumann und macht fröhlich mit.

Weibel spielt dazu eine Celesta der schwäbischen Firma Schiedmayer, Miribung spielt Cello, zwei Revox-Bandmaschinen dienen als Echogeräte, wodurch die Musik zum unendlich spielenden, wunderzarten Orchester wird. Aber mit den Nebelmaschinen hantieren sie schon auch, während Streiff und Sigurdur Arent Jónsson sich den sanften Wettstreit um die Gunst des Mädchens liefern. Ach so, kurz nachgereicht: Beim Auftritt Rot singen die Vier von der Firma ein Madrigal von Orlando di Lasso, "bonjour mon coeur". Sie singen dann auch "Schön ist die Jugend", für den Chef ist sie vorbei, für Sigurdur wird sie ein Fest des Kusses mit Gao.

Nebel macht alles schön. Große Kringel aus riesigen Lüftungswürmern sind schön, sie verheiraten sich fliegend in der Luft. Und doch ist alles der vage Hauch einer Erinnerung. Ein letztes Spektakel zum Überleben der obsoleten Firma. Am Ende dirigiert Weibel ein Orchester aus Nebelschloten, bevor alles endet. Im Rauch. In flüchtiger Schönheit.

© SZ vom 15.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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