Theater:Die Lüge vom Paradies

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Jochen Schölch hat am Stadttheater Ingolstadt John Steinbecks Roman "Früchte des Zorns" inszeniert

Von Florian Welle

Über das graue Land von Oklahoma fiel sanft der letzte Regen". Frank Galati hat John Steinbecks "Früchte des Zorns" für seine Bühnenadaption stark verdichtet. Der erste Satz von Steinbeck dagegen kennt noch das rote Land. Jochen Schölch hat Galatis Version als Regieanweisung gelesen. Seine Inszenierung des 1939 verfassten Landarbeiterromans ist eine Studie in Grau, bildgewaltig, packend und unbedingt sehenswert.

Von der Decke des Ingolstädter Stadttheaters hängt eine mit groben Strichen übersäte Plane, die auch den gesamten Bühnenboden bedeckt. Sie symbolisiert zweierlei. Das verdorrte Ackerland voller Sand, Staub und Dreck. Und das Asphaltband der Route 66, die die verarmten Okies nach Kalifornien führt. Go West! Straßen kennen nur eine Richtung, nach vorne, in die Zukunft. Steinbecks pulitzerpreisgekröntes Buch straft dieses Zukunftsversprechen Lügen. Das Land, wo die Orangen blühen und es angeblich genug Arbeit für jeden gibt, heißt die Notleidenden nicht willkommen. Sie werden in Camps gepfercht, ihre Arbeitskraft wird ausgebeutet.

Es wäre ein Leichtes gewesen, das Schicksal der Great-Depression-Migranten, das Steinbeck am Beispiel der Farmerfamilie Joad erzählt, mit Anspielungen auf die Gegenwart zu inszenieren. Derzeit sind weltweit 65 Millionen Menschen auf der Flucht, nicht zuletzt vor klimabedingter Armut. Die Flüchtlingswelle der 1930er Jahre, die Hunderttausende nach Westen trieb, war auch eine direkte Folge von Monokultur und Dürre. Schölch jedoch verzichtet auf den erhobenen Zeigefinger. Der Intendant des Münchner Metropoltheaters, der regelmäßig als Gastregisseur in Ingolstadt tätig ist, überlässt es den Zuschauern, zu assoziieren. Und wenn die Gastarbeiter fürchten müssen, ihr Camp werde von hasserfüllten Einheimischen angezündet, wer würde da nicht an brennende Asylunterkünfte hierzulande denken?

Wenn die Joads nach langer Fahrt, die die Großeltern nicht überleben, im abgewracktem Auto, endlich im sonnigen Kalifornien anstranden, dann wird die graue Plane blutorangenrot angeleuchtet - einziger Farbfleck der Inszenierung, in der zwischen den einzelnen Szenen immer wieder Schwarz-Weiß-Fotos aus der Zeit der Großen Depression zu bedrohlichem Computerdröhnen eingeblendet werden. Landschaften, in denen die Hitze zu stehen scheint. Wettergegerbte Gesichter erschöpfter Menschen. Und ein Adler, der sich in einem Drahtzaun verfangen hat.

Dass die Ankunft keine im gelobten Land ist, macht Schölch deutlich, indem er das Wort Paradies spiegelverkehrt vom Schnürboden herablässt. Später werden herausgerissene Bäume von der Decke baumeln. Die Joads sind Entwurzelte, gezwungen auf der Rückseite des Paradieses zu leben. Halt gibt nur die Familie, das Kollektiv, das stellenweise in Chorszenen von antiker Wucht spricht. Ihm gegenüber steht die Profitgier einiger weniger Plantagenbesitzer. Die Joads besitzen nichts, und so stehen nur ein paar Koffer auf der Bühne. Aus ihnen muss das natürlich ganz in mausgrau gekleidete, spielstarke Ensemble alles zusammenbauen, was es braucht. Mal werden die Koffer zu einem Auto zusammengestellt, mal wird aus ihnen ein Grab geformt. "Es gibt keine Sünde, und es gibt keine Unschuld", heißt es einmal. "Es gibt nur das, was die Menschen tun!"

Früchte des Zorns, nächste Vorstellung: Mo., 3. April, 19.30 Uhr, Stadttheater Ingolstadt

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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