Theater:Abgesang auf die Götter

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Kurz vor dem Absaufen: Miss Sony, Mr. Paramount und ihre Kumpane versuchen, sich in Gert Neuners „Doppelhelix“ über Wasser zu halten. (Foto: Volker Derlath)

Gert Neuners verschwurbelte Performance "Doppelhelix" im Mucca gibt dem Publikum einige Rätsel auf

Von Petra Hallmayer, München

Was für eine fiese Bagage. Auf einer die Rückwand der Halle einnehmenden Leinwand hocken die Produzenten, von deren Geld und Gnade der Meisterregisseur David Pynch abhängig ist, nachdem er einen grandiosen Flop gelandet hatte. Höhnisch keckernd lehnen sie sein neues Drehbuch über die vorislamische Göttin al-Uzza ab, und gestatten ihm schließlich eine Neuverfilmung seines Frühwerks "Wild Flowers", dessen Dreharbeiten im Anschluss beginnen. In einer Persiflage auf historische Herzschmerz-Melodramen, die allerdings mehr Irrwitz und Tempo vertragen hätte, wartet im besetzten Paris eine "L'amour" hauchende Lyrikerin aus Klagenfurt (klasse: Lucca Züchner) auf ihren Geliebten, ehe wir ein Liebesdrama in der Zeit des Kalten Krieges erleben.

Was fürderhin geschah, ließ sich nur noch vage erahnen. In der Performance des ETA Theaters "Doppelhelix", die nun im Mucca Premiere hatte, schlägt Gert Neuner wieder gewaltige gedankliche Bögen. Wie so oft bei dem Veteranen der freien Szene ist sein assoziativ zusammengepuzzelter Plot kaum nachzuerzählen.

Nach einem obskuren Terroranschlag versinkt die Filmcrew im Meer und taucht aus einer die Bühne bedeckenden Plane zwischen schäumenden Wellen wieder auf. Miss Sony, Mr. Paramount und ihre Kumpane sind "abgängig", ihr Geld schwimmt herrenlos auf dem Wasser. Pynch hat eine kreative Erleuchtung. "Ein neues Meisterwerk erblüht in mir", verkündet er als Stimme aus dem Off und ordnet zum Casting Waterboarding an. Der befreite Geniemann spielt sich als brutaler, Menschenmaterial verschleißender Tyrann auf. Auf der Leinwand erscheint al-Uzza, beschwört die schwarze Madonna von Altötting, ihre Schwestern im Geiste und deren mächtige Vulven. Das durch Gott legitimierte Patriarchat, hören wir, "ist perdu".

Neuners Performance stimmt einen Abgesang auf die Herrschaft der alten weißen Männer und Götter an, springt in Mini-Szenen und Monologen durch Europas von Krieg, Gewalt und Zerstörung geprägte Geschichte vom Zweiten Weltkrieg bis Sarajewo, verweist nebenbei auf die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer, macht verbale Ausflüge nach Ägypten und an die syrische Grenze, derweil Pynchs umherirrender Kameramann (Carlton Bunce) poesietrunken erklärt: "Ich sammele das Lächeln, das Lächeln, das in den Rinnstein fällt".

Für seinen jüngsten Coup hat Gert Neuner ein feines Ensemble zusammengestellt, in dem neben Lucca Züchner vor allem Sophie Wendt und Gabriele Graf glänzen. Seine Inszenierung trumpft mit packenden, düsteren Bildern auf, und atmosphärisch gelingen ihr starke soghafte Momente. Inhaltlich aber kommt sie gar zu verschwurbelt und überfrachtet daher. So klinkt man sich zwischendurch aus und versucht nicht länger, den vorüberziehenden Wortwolken zu folgen. Natürlich erwartet bei Neuner keiner eine stringent erzählte Geschichte. Aber es wäre schön gewesen, wenn er uns etwas mehr hätte daran teilhaben lassen, was ihm da so alles durch den Kopf spukte.

© SZ vom 29.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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