Theater:Ab nach Paris

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Warum es keinen Houellebecq an den Kammerspielen gibt

Von Egbert Tholl, München

Erst hat man kein Glück, dann kommt auch noch Pech dazu. Kein Glück hatten die Münchner Kammerspiele in der vergangenen Saison zur Genüge, doch schien dies mit Beginn der laufenden Saison überwunden zu sein. Dann kam das Pech: Die für den 19. November geplante Premiere der Romane "Plattform" und "Unterwerfung" von Michel Houellebecq musste abgesagt werden. Warum? "Das weiß ich selber nicht", sagt Kammerspiel-Intendant Matthias Lilienthal. Wobei sich "Nicht-wissen" auf die tieferen Gründe bezieht, die äußeren Vorgänge kann er natürlich beschreiben, auch wenn in dieser Beschreibung "spekulative Anteile" enthalten seien.

Drei Gründe führten laut Lilienthal zur Absage der Produktion, die sicherlich eine der herausragenden der Saison werden sollte, schon wegen der Themen - islamistischer Terror und als Fiktion die Unterwerfung Frankreichs zum islamisierten Staat. Vielleicht war es sogar eine gute Idee, dafür einen jungen französischen Regiestar zu engagieren, aber mit dem "jungen französischen Regiestar" fangen die Probleme halt an. Durch eine Terminverschiebung war Julien Gosselin zu Beginn der Proben in München noch damit beschäftigt, den Ruhm seiner Arbeit beim Festival von Avignon zu genießen; dort hatte er in elf Stunden Aufführungsdauer Roberto Bolaños Roman "2666" auf die Bühne gebracht.

Grund zwei sei, so Lilienthal, ein bei Gosselin grundsätzlich vorhandener hoher Anspruch ans eigene Arbeiten - das wolle man wohl hoffen. Grund drei, entscheidend: Gosselin sei, so Lilienthal, das französische Theatersystem gewohnt. Also keinen Repertoirebetrieb, der ihn erst einmal dergestalt verblüffte, dass die Schauspieler am Abend eines Probentages auch noch in anderen Aufführungen auf der Bühne stehen müssen. Daneben ist Gosselin offenbar recht verhätschelt, was die Betreuung der Proben durch Techniker betrifft; zwar versuchten, so Lilienthal, die Kammerspiele ihm da weitgehend entgegen zu kommen. Außerdem gelte die Probebühne 1 als die beste im deutschsprachigen Raum. Doch irgendwie schien das alles nicht auszureichen, Gosselin verschwand nach zwei Wochen Lese- und einer Woche Bühnenproben nach Paris und kehrte nicht wieder.

"Ich habe schon viele Krisen erlebt", so Lilienthal. Aber so etwas wohl noch nicht. Grund des Scheiterns sei auch keineswegs die Brisanz des Textes - "so weit waren wir noch gar nicht". Die Proben waren noch nicht so weit gediehen, dass ein anderer Regisseur - Nicolas Stemann - einfach die Arbeit hätte übernehmen können; zudem hatten sich die Darsteller in das verliebt, was Gosselin vorhatte. Also wurde alles abgesagt, zumal Stemann gedanklich wohl schon in der Welt Tschechows lebt, dessen "Kirschgarten" er im Januar herausbringt.

Dass Aufführungen nicht zustande kommen, passiert im Theater immer wieder. Dennoch hätten sich die Kammerspiele vielleicht genauer überlegen sollen, auf wen sie sich da einlassen; inzwischen lebt Gosselin wieder in Lille, erhält einen Teil seiner Gage und befindet sich, so mutmaßt Lilienthal, in einer tiefen Verzweiflung.

Dazu kommt, in Koinzidenz, eine spektakuläre Personalie, die Kündigung von Brigitte Hobmeier (SZ vom 3. November). Da hofft Lilienthal unverdrossen, mit dem Publikumsliebling "in einem freieren Verhältnis" wieder zusammenkommen zu können. Er schätze sie sehr und gibt zu, dass man den Vorwurf, das Haus sei ihr nicht genug entgegengekommen, zu Recht erheben könne. Ob dies bei ihm ein Nachdenken über eine Kurskorrektur auslöse? "Ja klar, aber wir haben uns vorgenommen, die Grundausrichtung drei Spielzeiten auszuprobieren, danach erfolgt die Bestandsaufnahme." Mit wem, darauf darf man gespannt sein.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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