"The Vacuum Cleaner" an den Münchner Kammerspielen:Horror im Papierkäfig

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Das Bühnenbild von Dominic Huber für „The Vacuum Cleaner“ gibt Einblick in ein japanisches Haus mit Papierwänden und Schiebetüren. (Foto: Julian Baumann)

Der japanische Regisseur Toshiki Okada thematisiert in seiner vierten Arbeit für die Münchner Kammerspiele das Phänomen "Hikikomori".

Von Christine Dössel

Die Meldung war verstörend: Mit mehreren Messerstichen hat ein japanischer Ex-Diplomat im Juni dieses Jahres in Tokio seinen 44-jährigen Sohn getötet. Der Mann, 76, soll befürchtet haben, sein bei ihm im Haus abgekapselt lebender, zunehmend aggressiver Sohn könne ein Attentat auf - lärmende, ihn störende - Schüler in einer nahen Grundschule begehen. Auch er selbst habe sich in Lebensgefahr gefühlt. Der Sohn galt als "Hikikomori", ein in Japan weit verbreitetes Phänomen, das Menschen beschreibt, die sich aus der Gesellschaft zurückziehen und (fast) keine sozialen Kontakte mehr haben.

Man muss an Vorfälle wie diesen denken, wenn in dem Stück "The Vacuum Cleaner" nun Annette Paulmann in der Rolle der fünfzigjährigen Japanerin Homare laut darüber nachdenkt, ob sie ihren Vater je umbringen wollte - oder vielleicht umgekehrt: er sie. Sie malt sich aus, wie es sein wird, "wenn es so weit ist". Wenn das Blut aus ihren Adern spritzt. Vielleicht fühlt sich das dann ja wie Leben an ..

. Der japanische Regisseur Toshiki Okada hat wieder an den Münchner Kammerspielen inszeniert. Es ist nach "Hot Pepper, Air Conditioner and the Farewell Speech", "Nō Theater" und dem beschwingenden, in einer Karaokebar spielenden Stück "No Sex" seine vierte Arbeit am Haus von Matthias Lilienthal. In "The Vacuum Cleaner" geht es um japanisches Familienleben, einen Fall von "Hikikomori".

Homare hat ihr Elternhaus seit Studienzeiten nicht mehr verlassen, verkriecht sich im oberen Zimmer und hat tägliche Wutausbrüche, während sie staubsaugt. Auch ihr Bruder Richigi (Damian Rebgetz) wohnt mit Mitte 40 noch daheim, hat aber immerhin noch Kontakt zur Außenwelt und sogar einen Freund (Thomas Hauser). Der Vater (Walter Hess) ist in seinen Achtzigern, die Mutter tot. Ins Gespräch kommen sie nicht miteinander. Jeder lebt in seiner eigenen Einsamkeitsblase, jeder mit seiner eigenen Überforderung.

Achtzigjährige Eltern müssen in Japan bisweilen ihre fünfzigjährigen Kinder durchfüttern

Als Ansprechpartner, Zuhörer und wohlmeinender Ratgeber dient ihnen der titelgebende Staubsauger, eine Art guter Hausgeist, gespielt von der famos grazilen Julia Windischbauer (in Metallic-Hose und Leucht-Rolli), die mit ihrer gutmütigen Mädchenhaftigkeit und schmalen Gestalt die Aufmerksamkeit bannt. Die Aufgabe, Sprache und Gestik zu entkoppeln und sich beim Reden seltsam zwanghaft zu bewegen - Okadas bekanntes Stilmittel im Sinne eines Stör- und Verfremdungseffekts oder auch zur Kenntlichmachung eines Affekts - erfüllt Windischbauer am kuriosesten, unschuldigsten, natürlichsten. Immer wirkt sie, als mache sie gerade Lockerungsübungen oder Bändergymnastik. Ihr Trippelgang ist herrlich.

Das Phänomen "Hikikomori" ist ein weites Feld für Psychologen und Soziologen. Der hohe Leistungsdruck in der japanischen Gesellschaft, die Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise auf den Arbeitsmarkt, die Angst, "das Gesicht zu verlieren", all das sind Faktoren, die zum selbst gewählten Rückzug in die Isolation führen können. Nicht selten mit dem Ergebnis, dass achtzigjährige Eltern mit ihren oft geringen Renten ihre fünfzigjährigen Kinder durchfüttern müssen.

Soziologische Erklärungen oder dezidierte Gesellschaftskritik darf man bei Okada nicht erwarten. Er ist ein leiser, seine Sätze dem Alltäglichen, Banalen ablauschender Künstler, kein offensiv politischer und auch kein psychologischer Regisseur. Textlich ist "The Vacuum Cleaner" schwach; es entsteht auch nicht diese bei Okada oft so feine, aus innerer Melancholie aufschwirrende Komik, wie sie etwa bei "No Sex" in der Gesangsentäußerung zutiefst selbstkontrollierter Menschen entsteht. Dass der zahme Abend dennoch seinen Reiz hat, liegt in seiner Körpersprache, in der Musik und Bewegungschoreografie, in seiner, sagen wir mal, "japanoiden" Gesamtanmutung.

Das Bühnenbild (Dominic Huber) gibt Einblick in ein japanisches Haus mit holzgerahmten Papierwänden und Schiebetüren. Drei leere, ineinander verschachtelte Zimmer, verteilt auf zwei Stockwerke. Schön sind die Lichtfarbeffekte auf den Papierkassettenwänden. Die Schauspieler ziehen die Schuhe aus, und das tut sinnbildlich der ganze Abend: Er kommt auf weichen Socken daher. Die musikalische Unterlage dafür schafft Kazuhisa Uchihashi mit einem nachdrücklichen Klopf-, Trommel-, Flötensound, zu dem die Schauspieler sich beim Sprechen wie in eurythmischen Bewegungen ergehen. Das wirkt in dem Papierkäfig wie ein Fall von fortgeschrittenem Hospitalismus.

Wo der alte Hess bei seinen Monologen über Kaffeebohnen und Nachbarschaftsbegegnungen federnd tänzelt, ist Thomas Hauser als der Freund von "außen" in seinen Bewegungen raumgreifender. Vier Tage hat er es als Lagerhausarbeiter beim großen "Scheißhaufen"-Versandhändler ausgehalten (gemeint ist Amazon). Richigi tut überhaupt nur noch so, als ginge er zur Arbeit. Bei Rebgetz klingt da viel Traurigkeit an. "Deine Sonne ist mir scheißegal", bringt Paulmanns karatekämpferische Homare ihr Dasein auf den Punkt. Der Abdruck, den ein Schlag von ihr in der Wand hinterließ, ist für sie ein "heimliches Monument". Eine "Lebensspur". Sie hat ja sonst keine.

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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