"The Book of Citrus Fruits":Früchte des Paradieses oder süße Bitternis

Lesezeit: 3 min

Johann Christoph Volkamers Prachtbuch aus dem 18. Jahrhundert porträtiert Zitrusfrüchte aller Arten.

Von Harald Eggberecht

In diesem Prachtbuch aus dem frühen 18. Jahrhundert zu blättern, heißt, sich nicht satt sehen zu können, und sich zu sehnen nach jenen Orten, die in Johann Christoph Volkamers "Nürnbergische Hesperides" - so heißt das Buch - "auff das accurateste in Kupfer gestochen" sind. Zum einen werden hier Zitrusfrüchte aller Arten als unverwechselbare Individuen in Originalgröße so porträtiert, dass man sie schwerlich vergessen kann.

Zum anderen erscheinen unter den planetengleich schwebenden Pomeranzen und Zitronen Veduten von Orten, an denen Orangen, Limetten und all ihre Schwestern gehegt, gezüchtet und auch geerntet wurden: Orangerien, Schlösser, Herrensitze und weitläufige Gärten in deutschen Landen ebenso wie vor allem in Norditalien. Da will jeder Betrachter sofort hin. Außerdem läuft einem angesichts der herrlich genau abgebildeten Früchte das Wasser im Munde zusammen und man möchte glauben, den Duft der aufgeschnittenen Agrumen, so der Sammelname für alle Zitrusarten, in ihrer Vielfalt riechen zu können.

Johann Christoph Volkamer (1644-1720) war Nürnberger Kaufmann, leidenschaftlicher Gärtner und Hobbybotaniker von Rang. Er stammte aus einer in Europa gut vernetzten Gelehrtenfamilie. Der Vater, der Arzt und Naturforscher Johann Georg senior, hatte während des Dreißigjährigen Krieges in Jena, Altdorf und Padua studiert, bereiste Italien und Frankreich und wurde nach der Rückkehr Mitglied, später Präsident der Leopoldina und noch kaiserlicher Leibarzt. Der jüngere Bruder, Johann Georg junior, machte sich ebenfalls als Arzt und wissenschaftlicher Botaniker einen klangvollen Namen. Auch er war Mitglied der Leopoldina, in die gegen Ende seines Lebens endlich der Zitronenfan Johann Christoph aufgenommen wurde.

1 / 3
(Foto: Stadtarchiv Fürth)
2 / 3
(Foto: Stadtarchiv Fürth)
3 / 3
(Foto: Stadtarchiv Fürth)

Volkamer, der eine Zeit lang in Rovereto gelebt hatte, wo es eine bedeutende Seidenzucht gab, mit deren Erzeugnissen der Nürnberger Kaufmann handelte, war in seinem Zitruskult nicht der erste und keineswegs allein. In ganz Europa galten diese kostbaren, von Königen und Fürsten, reichen Patriziern und hoch angesehenen Stadtbürgern über die Maßen geschätzten gelben und orangenen "Äpfel" gleichsam dem Garten Eden zugehörig, zumindest dem Zaubergarten der Hesperiden, aus dem sie der mythische Superheld Herakles einst raubte und so in die Welt brachte.

In ihrem vorzüglichen, weit ausgreifenden Einleitungsessay zu historischem Rang, künstlerischer und botanischer Bedeutung von Volkamers "Hesperides" gelingt es Iris Lauterbach, Spezialistin für europäische Gartenkunst an der TU München, die Exklusivität der Früchte und ihre heraldische Bedeutung für Herrscherhäuser zu beschreiben. Sie zeigt auch, wie sehr damals schon Wissenschaftler und Forscher in Europa vernetzt waren. Volkamers Werk war das erste seiner Art auf Deutsch. So fand es eine größere Verbreitung, als wäre es in der Wissenschaftssprache Latein abgefasst worden. Doch es gibt ebenso eine lateinische Fassung. Lauterbach erzählt auch, wie die Agrumen vor rund viertausend Jahren von den Hängen des Himalaja über China und Indien allmählich nach Westen transportiert wurden, im antiken Rom bekannt waren und dann vor allem mit den arabischen Kulturen endgültig in Europa Wurzeln schlugen.

Johann Christoph Volkamer: The Book of Citrus Fruits. The Complete Plates 1708 - 1714. Einleitung von Iris Lauterbach. Taschen Verlag, Köln 2020. 383 Seiten, 125 Euro. (Foto: N/A)

Auf drei Foliobände hatte Volkamer seine "Hesperides" angelegt, von denen zwei tatsächlich vollendet wurden, während vom geplanten dritten Band immerhin etliche Bildtafeln existieren. Volkamer pflegte selbst einen wohl einzigartigen Garten im Nürnberger Stadtteil Gostenhof, in dem er seine botanischen Studien am lebendigen Objekt treiben konnte. Was er nicht selbst züchtete, ließ er sich schicken und zeichnete es genaustens ab, bevor es in Kupfer gestochen wurde. Seine Zeichnungen scheinen leider verloren, so Lauterbach. Stolz war der Nürnberger Kaufmannsbotaniker aus im besten Sinne dilettantischer Neigung auf seine "Hesperides", von denen er wusste, "daß keiner noch so ausführlich und so Zahlreich bis hieher / diese ungemeine Zierathen des Garten-Baues beschrieben / und mit den gehörigen Kupfern vor Augen gelegt habe". Das Werk sollte auch die freie Reichstadt Nürnberg ehren, für Volkamer quasi centrum Europae.

Jedenfalls gilt Volkamers Lob des Gärtnerberufs bis heute: "Solchem nach gehöret kein tummer Kopf und fauler Tropf zu einem Gärtner / dann Er muß eine gute Wissenschafft und Erkennung haben [...]Es muß auch ein Gärtner klug und nachdencklich seyn [...]Ferner soll ein Gärtner fleissig und unverdrossen seyn".

© SZ vom 24.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: