Wenn es hier nicht um so viel Geld ginge, würde man sagen: Es kann nur eine Kunstaktion sein. Ein Reenactment im Geist von Robin George Collingwood, dem britischen Philosophen, der in den 1930ern feststellte, man könne die Geschichte nur kapieren, wenn man ihre Ereignisse in der Gegenwart selbst nachspiele. Oder wie beim Londoner Künstler Jeremy Deller, der 2001 in Sheffield eine Bergarbeiter-Demo von 1984 neu inszenierte, als politische Performance mit 800 Kostümierten. Inklusive der Schlacht mit der Polizei.
Aktueller Fall: Taylor Swift - die derzeit neben Beyoncé Knowles größte Popsängerin und Songwriterin der Welt - hat ihr Album "Fearless" ein zweites Mal aufgenommen und als "Fearless (Taylor's Version)" neu veröffentlicht. Das Ursprungswerk, das weiter erhältlich ist, stammt von 2008. Swifts zweite Platte, sie war 18, sang Teen-Pop, dem immer noch etwas Country-Stroh am Hintern klebte. Die Neuausgabe von 2021 ist jedoch alles andere als eine Umdeutung oder Aktualisierung - wenn man nicht gut aufpasst, ist es sogar ziemlich schwer, die alte und die neue Version auseinanderzuhalten. Als Bonus kommen sechs bisher unveröffentlichte Stücke dazu, dennoch bleibt dies ohne Kontext ein rätselhaftes Produkt. Vor allem angesichts dessen, dass die Künstlerin in den letzten zehn Monaten schon zwei Alben mit durch und durch neuem Material herausgebracht hat.
Das alte Album wurde schon zwölf Millionen Mal verkauft
Die Hintergründe haben wenig mit Kunst zu tun, mehr mit Kulturwirtschaft. 2005, als die damals 15-jährige Taylor Swift ihren ersten Plattenvertrag unterschrieb, waren die Dimensionen der kommenden Karriere nicht abzusehen. Mit dem Label, der kleinen Klitsche Big Machine Records in Nashville, wurden so auch keine besonderen Konditionen vereinbart. 2018, zum Superstar geworden, unterschrieb Swift dann einen Deal bei Universal Music. Ihrer Absicht, dem früheren Label die Rechte an den sechs bereits veröffentlichen Alben abzukaufen, kam jedoch ein anderer zuvor. Scooter Braun, von verschärftem Start-up-Geist getriebener Medienunternehmer und Manager von Justin Bieber, kaufte im Juli 2019 für geschätzte 300 Millionen Dollar die Big-Machine-Firma auf - und damit auch die Rechte an den alten Swift-Aufnahmen. An ein Vorkaufsrecht für die Künstlerin, wie es in besser dotierten Verträgen stünde, hatte man 2005 noch nicht gedacht.
Braun hat die Rechte inzwischen an eine Investmentgesellschaft weiterverhökert, sonderlich viel Böses kann trotzdem niemand mit dem Material anrichten. Denn ohne das Einverständnis der Musikerin und (in den meisten Fällen) Songautorin wäre eine Lizenzierung der Aufnahmen an Grußkartenhersteller oder Trickfilmproduzenten unmöglich. Als Taylor Swift im Februar 2021 ankündigte, die ersten fünf der betroffenen sechs Alben komplett neu einzuspielen und ein zweites Mal auf den Markt zu bringen, ging es also in erster Linie um die Ehre, ums Demonstrative, um den Kampf. Darum, dass sie es als reichweitenstarke Kreative durchaus in der Hand habe, ihre Kunst zurückzuerobern, legal. Ihre Musik, die von Business-Kugelfischen als Spekulationsobjekt missbraucht worden war.
Denn das ist klar: Sobald Taylor Swift auch die restlichen Big-Machine-Alben neu durchagiert hat, wird das Paket mit den Originalaufnahmen schlagartig wertlos sein. Eine weitere, etwas weniger ehrwürdige Dimension ihres Schachzuges kommt noch hinzu. Das alte "Fearless" wurde seit 2008 schon zwölf Millionen Mal verkauft, sein kommerzielles Potenzial dürfte also ausgeschöpft sein. Für "Fearless (Taylor's Version)", die große Fuck-you-Geste an die Feinde, werden die Swift-Fans nun wohl trotzdem noch einmal Geld ausgeben. Quasi zum zweiten Mal für dieselben Songs, die fast exakt so klingen wie damals, wie 2008. Ob das der cleverste Weg ist, um der späten Generation-Y-Kohorte endlich Nostalgie beizubringen? Das lange ratlos erwartete Nullerjahre-Revival - vielleicht beginnt es hier. Wir halten Sie auf dem Laufenden.