Tanz:Unter Männern

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(Foto: Hugo Glendinning)

Von Dorion Weickmann

Da hängt er nun kopfüber wie ein Hochseilartist unter dem Bühnenhimmel - stoische Miene, herausfordernder Blick. Dabei hat dieser Typ im Superman-Kostüm gerade noch Prügel bezogen. Weil er anders ist. Weil er schwul ist. Weil er geschmeidig und lustvoll tanzt statt die Sneaker-Sohlen auf den Kneipenboden knallen zu lassen. Wie es die echten Kerle machen, die sieben Stammsäufer, die hier im Pub herumlungern und plötzlich diesen Schönling in Bundfaltenhose vor sich haben. Natürlich kriegt er eins in die Fresse, damit das Bild vom Mannsbild wieder gerade hängt. Wenigstens in den Köpfen. Aber das Opfer entpuppt sich als Held, als allmächtige Comicfigur auf zwei Beinen. Fast unschlagbar, wie der antike Achill. Und so bebildert "Enter Achilles" siebzig Minuten lang den Showdown zwischen sieben krawallgestählten Bierbrüdern und dem einen, einzigen Weintrinker, der sich zufällig in ihre Mitte verirrt: eine irrwitzig komische und irrwitzig traurige Choreografie, die ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat, ohne an Schärfe und Aktualität eingebüßt zu haben.

Lloyd Newson heißt der Mann, der "Enter Achilles" 1995 mit DV8 Physical Theatre herausgebracht hat, seiner eigenen Truppe. Das Revival des seinerzeit als Augenöffner gefeierten Stücks ist am Samstag letztmals im Haus der Berliner Festspiele zu sehen. Es besticht mit junger Besetzung, heutiger Sprache. Von Ballet Rambert und Londons Tanzhaus Sadler's Wells koproduziert, trumpft die Inszenierung vor allem mit fabelhaften Allroundern auf. Mit acht Tanzsprechsing-Künstlern, die Newsons körperliche Extremartistik genauso gut beherrschen wie Tenor und Terror des Stammtischs, der Feministinnen und Homosexuelle, #MeToo und Islam zum Teufel wünscht. Wobei "Enter Achilles" ganz klar macht, welcher Dünger antimoderne Ressentiments zu üppiger Blüte bringt: Es ist ein Gemisch aus Ohnmacht und Sprachlosigkeit, ein maskulines Redeverbot in Sachen Verlangen und Verletzlichkeit. Wo keine Verständigung, da kein Verständnis - so lautet Newsons Gleichung der patriarchalen Ordnung. Er buchstabiert sie als ebenso packende wie ernüchternde Lektion, die den Populisten die Hosen runterzieht. Im wortwörtlichen Sinne.

© SZ vom 07.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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