Tanz:Politik kann man nicht tanzen

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Das Münchner "Dance" Festival bietet moraline Langeweile - und ein atemraubendes Finale.

Von Eva-Elisabeth Fischer

Männer und Frauen nuckeln an Bierflaschen, lungern herum und raffen sich schließlich auf zum Tanz, wobei ihre Becken in eindeutigem Rhythmus ruckeln. Einer geht ans Mikro und sagt: "Die Bastarde sind wir alle. All inclusive". Es ist der kluge und redselige kanadische Choreograf, Gitarrist und Sänger Frédérick Gravel, Chef der Gravel Art Group (GAG) aus Montreal, der unüberhörbar ironisch sein so lautstarkes wie zärtliches Stück "Some Hope for the Bastards" kommentiert.

"Some Hope" ist die letzte von fünf Uraufführungen bei der strapaziösen 15. Ausgabe der Münchner Tanzbiennale Dance. Diese choreografisch-musikalische Mischung aus narkotisch hämmernder Popmusik und grotesk entgleisenden Gliedmaßen sollte jeder gesehen haben. Vor allen aber jene, die derzeit das Schild "Inklusion" als selbstauferlegtes Diktat politischer Korrektheit vor sich hertragen. Gravel nämlich formuliert den erleichternden, aber natürlich nur halbwahren Satz zum Tanz an sich: "Das alles bedeutet nichts."

Denn was an den ersten sieben von zehn Festival-Tagen über diverse Münchner Bühnen krauchte, troff, dem Zeitgeist entsprechend, nur so vor Absichtserklärungen zu aktuellen Themen wie Ausgrenzung von Minderheiten, sexuelle Diversität oder Frauenfeindlichkeit. Der Dance-Leiterin Nina Hümpel schien allzu oft schon redliches Bemühen genug zu sein für eine Einladung. Es kamen also junge Wohlmeinende aus China oder Kanada, die für ihr Wollen weder Ausdruck noch Form fanden. Für sie gilt, was Chris Dercon, der künftige Intendant der Berliner Volksbühne, für die vermeintlich vielversprechende Vermengung der Genres und Stile kürzlich "In-Betweenness" genannt hat. Das kann man, wenn man es gut meint, mit Zwischenbereich übersetzen. Weitaus treffender wäre "Weder-noch" oder "nicht Fisch, nicht Fleisch". In-Betweenness in Gestalt des auch moralisch anspruchsvollen Spektakels löst die Nabelschau der Ego-Performer ab. Letztere gibt es beim diesjährigen Dance in Gestalt der ehemaligen William-Forsythe-Tänzerin Nicole Peisl, die in einem Tanz unter dem irreführenden Titel "Vielfalt II" den Auf- und Abbau von Spannung untersucht. Das einen wie das andere langweilt.

Gleiches gilt für den hoch gehandelten Amerikaner Trajal Harrell, die Galionsfigur des Voguing. In seiner Laufsteg-Choreografie "Caen Amour" kritisiert er in einer begehbaren Installation stereotype Frauenbilder. Was man sehen soll, erklärt ein Handzettel: die Frau als verhülltes oder entblößtes Objekt der Unterdrückung.

Der belgische Choreograf und Filmemacher Wim Vandekeybus mag es komplexer, verrennt sich aber. In seiner babylonischen Dystopie "Mockumentary of a Contemporary Saviour" errichtet er eine Versuchsstation für neun Männer und Frauen verschiedener ethnischer Herkunft. Myriaden von Wörtern von sich gebend, scheitern sie am unvermeidlichen Zusammenprall der Kulturen. Nebenbei wird auf der Suche nach einem Erlöser auch noch die Jesus-Geschichte trivial neu erzählt.

Es bestätigt, was nicht nur Frédérick Gravel ganz genau weiß: Politik kann man nicht tanzen. Was nicht heißt, dass Tanz an sich apolitisch wäre oder zu sein hätte. Richard Siegal hat ein Manifest für seine programmatisch "Ballet of Difference" genannte Kompanie geschrieben, die bei Dance ihren Einstand feierte. Auf der Bühne stellt er jeden Einzelnen in seiner Besonderheit aus. Auch die großartigen Israelis Emanuel Gat und Sharon Eyal setzen in ihren Choreografien das eigenverantwortlich agierende Individuum in einer diversen Gesellschaft voraus.

Beide fesselten mit intelligent gebauten, atemberaubenden Tanz-Konzerten: Sharon Eyal stellen in "OCD" einander schikanierende Männer und Frauen in hochartifiziellen Tableaus aus, musikalisch aufgedonnert durch Ori Lichtniks Live-Bombast aus dem Soundcomputer. Emanuel Gat komponiert in "Sunny", benannt nach dem gleichnamigen Ohrwurm, kontrapunktisch vielstimmige Buntheit, die sein früherer Tanzpartner Awir Leon singend und am Keyboard mit eigenen Songs melancholisch begleitet. Wie bei Gravel ist auch bei Eyal und Gat die Liebe ein Trost: "Some Hope for the Bastards", die wir alle sind. Ein guter Schluss.

© SZ vom 22.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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